Schattenjahre (German Edition)
den Park von Haus Cottingdean bewundern kannst.“ Er lächelte wieder, und ein sonderbares Gefühl erfasste sie, eine Mischung aus Zuneigung und Dankbarkeit. Plötzlich nahm sie ihn als Mann wahr, verspürte das zögernde Bedürfnis, sich an ihn zu lehnen, seine Lippen zu berühren, die zauberhafte Essenz seines Lächelns einzufangen.
Während sie ihn anschaute, überwältigt von ihren unerwarteten Empfindungen, kam Jeremy Catesby zu ihnen. „Oh, der heilige David und seine treu ergebene Dienerin! Welch ein charmantes Bild – so unschuldig, überirdisch und doch so irreführend … Ich beneide Sie wirklich, David, denn wie ich zugeben muss – ich hätte ein bisschen Angst vor einer Frau mit so einer Vergangenheit. Immerhin – ohne Feuer kein Rauch, wie man so treffend sagt. Haben Sie noch Kontakt zu Ihrem Stiefvater, Faye?“
David hörte, wie sie einen leisen, halb erstickten Laut ausstieß, sah sie erröten und dann erbleichen. Er fühlte ihre Panik und reagierte instinktiv, legte schützend einen Arm um ihre Schultern.
„Sie wissen doch Bescheid über Fayes Vergangenheit, David?“, fuhr Jeremy in gnadenloser Bosheit fort. „Oder hat sie Ihnen dieses kleine Geheimnis nicht verraten? Soll ich’s ihm an Ihrer Stelle erzählen, Faye? Ich verstehe Ihre Verlegenheit. Nachdem Sie Ihre Jungfräulichkeit stets so penetrant hervorgekehrt haben, fällt es Ihnen natürlich schwer, ihm mitzuteilen, dass Sie erstens keine Jungfrau mehr sind und zweitens eine Abtreibung hinter sich haben. Ja, die kleine Faye steckt voller Überraschungen, David. Sie schlief mit ihrem Stiefvater, dann sorgte sie dafür, dass er im Gefängnis landete. Sogar ihre eigene Mutter kehrte ihr den Rücken. Kein Wunder – jeder muss sich schaudernd von so einem Mädchen abwenden. Den Stiefvater zu verführen und dann …“
„Nein – nein – nein …“ In weiter Ferne hörte Faye jemanden schreien. Schmerzhaft dröhnte die Stimme in ihrem Kopf und wollte nicht verstummen. Die grellen, harten Farben der Rosen drehten sich um sie, die Welt wurde ein Feuerball aus roten und gelben Qualen, dann ein Flammenmonstrum mit klaffenden Fängen, die sie in schwarzes Dunkel hinabzerrten.
„Faye – alles ist gut.“ Langsam öffnete sie die Augen. Sie saß auf dem Beifahrersitz von Davids Auto. Seine kühle Hand strich über ihre Stirn, die andere fühlte ihren rasenden Puls.
„David …“ Sie schluckte, weil ihr Hals brannte, als sie den Namen aussprach. „David …“
„Sind Sie okay?“
Faye hob den Kopf und starrte den Mann an, der neben ihr im Auto saß und sie beobachtete. Irgendetwas an ihm war ihr vertraut, aber es dauerte eine Weile, bis sie ihn erkannte.
Der Arzt aus der Klinik … Erschrocken hielt sie den Atem an. Liz … Etwas war mit Liz geschehen. In ihrer Verwirrung bedachte sie nicht, dass er nicht persönlich hierhergekommen wäre, um mit ihr über Liz zu sprechen, und auch gar nicht gewusst hätte, wo er sie finden würde.
„Mrs Danvers – sind Sie okay?“
Sie öffnete das Fenster, bewegte sich hastig und ungeschickt. Dieser Mann hatte sie so brutal aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurückgeholt, dass sie sich nur mühsam zusammenreißen konnte. „Liz – meine Schwiegermutter …“
Sofort erriet Alaric Ferguson ihre Gedanken und verfluchte seinen Entschluss, sich in Dinge einzumischen, die ihn nichts angingen. Warum hatte er sie nicht in Ruhe gelassen? Es sah ihm gar nicht ähnlich, in die Privatsphäre anderer zu dringen. Aber er war so besorgt um sie gewesen. „Nein, nein, darum geht es nicht“, versicherte er.
„Nicht? Aber warum …?“
Er spürte, wie sie sich innerlich gegen ihn abschirmte, ein Schatten schien über ihre Augen zu fallen.
„Tut mir leid, ich hätte Sie nicht belästigen dürfen. Aber ich dachte, Sie wären krank.“
„Ich habe nur Kopfschmerzen“, erwiderte sie kurz angebunden und wahrheitsgemäß.
„Vielleicht – eine Tasse Tee … Weiter unten an der Straße gibt’s ein Café, und wie ich von einem fachkundigen Stammgast weiß, nämlich von meiner Mutter, wird dort ein ausgezeichneter Tee serviert.“
Faye öffnete den Mund, um den Vorschlag abzulehnen. Mit diesem Fremden höflich beisammenzusitzen und Tee zu trinken war das Letzte, was sie sich wünschte. Sie musste heimfahren, es wurde immer später. Ein Schauer rann über ihren Rücken.
Er sah den Ausdruck in ihren Augen und verfluchte sich noch einmal. Offenbar glaubte sie, er wollte sich an sie heranmachen. Die
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