Schattenjahre (German Edition)
genügen, Scott zu lieben, um wiedergeliebt zu werden?
Welch ein arrogantes, ungebärdiges, stürmisches Kind, das ihn zornig anschaute, dessen Augen deutlich sagten, es wolle Scott ganz für sich allein haben … Arrogant und möglicherweiseverletzlich. Begriff Sage denn nicht, dass Scott sich letzten Endes von ihr abwenden würde, weil er ihrer müde war – nicht ihrer Person, sondern ihrer rastlosen Stimmungen, ihrer emotionalen Hochs und Tiefs?
Sobald sie sich zu einer richtigen Frau entwickelte, würde sie einen Mann brauchen, der eine Herausforderung darstellte, der zu ihr passte, der das ganze Ausmaß ihrer Leidenschaft weckte. Dafür eignete sich Scott nicht, und wenn sie das erkannte, würde sie es sein, die leiden musste. Scotts ruhiges Wesen würde ihn vor extremen Gefühlen schützen.
Daniel trat beiseite, um ihr den Vortritt zu lassen, als sie die Richtung zum Pub einschlugen. Offenbar merkte Scott noch immer nichts von der knisternden Spannung, die in der Luft lag. Begeistert erzählte er seinem Freund von einer Vorlesung, die er kürzlich besucht hatte.
Obwohl Daniel ihm zuhörte, konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf Sage. Sie bewegte sich wie ein junges Fohlen, dachte er, ruckartig, disharmonisch. Aber trotzdem besaß sie seltsamerweise eine ganz eigene Anmut. Immer wieder zog sie die Blicke der Passanten auf sich.
Sie war nicht schön im strengen Sinn des Wortes, strahlte aber eine faszinierende Mischung aus Sinnlichkeit und Verwundbarkeit aus, Abenteuerlust und jene Wildheit, die ihm zuallererst bewusst geworden war. Auf einen Mann konnte sie eine gefährliche verführerische Wirkung ausüben, seinen instinktiven Drang wachrufen, sich an die Beute heranzupirschen, sie zu jagen, zu fangen und zu zähmen … Noch nie war Daniel einer Frau begegnet, die seine primitiven männlichen Bedürfnisse so ansprach wie Sage. Diese Erkenntnis fand er ebenso amüsant wie aufschlussreich.
Wie mochte sie im Bett sein? Nicht einmal in Gedanken entschuldigte er sich bei Scott für diese Überlegung. So eine Frau konnte man einfach nicht anschauen, ohne sich solche Fragen zu stellen. Dabei wirkte nichts an ihr übermäßig erotisch, nichts unterstrich ihre Sexualität, nichts lockte und betörte. Vielmehr schien sie sich ihrer Sinnlichkeit zu schämen. Oder sie ärgerte sich darüber. War ihre Wahl deshalb auf Scott gefallen? Fürchtete sie insgeheim, was mit ihr geschehen würde, wenn sie sich mit einem Mann einließe, der ihrem leidenschaftlichen Verlangen mit gleicher Glut begegnete?
Scott würde alle ihre heißen Gefühle dämpfen, ihr helfen, all die begehrlichen Wünsche zu bezähmen, weil er sie gar nicht erst anzufachen vermochte. Niemals würde er das fast göttliche, fast schmerzliche Gefühl höchster Lust kennen – und barmherzigerweise auch nicht die Tiefe der Erniedrigung, in die es seine Opfer hinabzerren konnte.
Aber Sage würde solche Dinge erleben, kannte sie vielleicht sogar schon, obwohl sie so sauber und frisch aussah, fast unschuldig. Bis man in diese Lilith-Augen schaute und auf den vollen Mund …
Deutlich spürte Daniel, wie sehr er sie begehrte. Erst vor fünf Minuten war er ihr begegnet, doch das genügte, um festzustellen, was in seinem Blut brannte. Seine Begierde verblüffte und amüsierte ihn. Sage war nicht sein Typ – zu turbulent, zu anstrengend. Er schätzte anpassungsfähige, zurückhaltende Frauen. Wenn er einmal heiratete, würde er es nicht aus Leidenschaft tun, das hatte er bereits beschlossen, gesehen, wie zerstörerisch die Leidenschaft wirken konnte. Sicher hatte John Ryan die Mutter einmal geliebt, dann gemerkt, dass die Liebe nicht erwidert worden war, und sich wie in einer Falle gefühlt. Aus dieser Situation war seine Grausamkeit entstanden, seine Gewalttätigkeit.
Allzu intensiv hatte Daniel die Konsequenzen einer solchen Entwicklung miterlebt, die Saat der Zerstörungswut kennengelernt, die auch ihn selbst hätte befallen können. Oder trug er sie tatsächlich in sich? Wenn er zu sehr liebte und nicht wiedergeliebt wurde, wäre er dann – unter dem Einfluss seiner frühen Jahre – zu Gewalttaten fähig? Ein solches Risiko wollte er nicht eingehen. Sicher würde er eines Tages heiraten. Von einem ausschweifenden Junggesellenleben hielt er nichts. Er genoss den Sex, doch das gedankliche Vorspiel bedeutete ihm genauso viel wie die körperliche Vereinigung. Und er wünschte sich eine Frau, die er respektieren konnte, von der er ebenfalls Achtung
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