Schattenjahre (German Edition)
Scott ein Heilmittel für ihren Seelenschmerz? Er musste mehr über sie erfahren, viel mehr.
Er wartete, bis er mit Scott allein reden konnte. Der junge Mann hatte sich über seine Studentenbude beklagt. Und obwohl es Daniel widerstrebte, seine Unterkunft mit einem Kommilitonen zu teilen, obwohl er nicht einmal seinen Bettgefährtinnen erlaubte, zu ihm zu ziehen, lud er den Australier eines Abends in sein kleines Haus ein. Gleichzeitig erwähnte er, ein Schlafzimmer stehe leer, er würde es zur Verfügung stellen.
Sie hatten gerade gemeinsam den Debattierklub besucht, und nun bedankte sich Scott erfreut für die Einladung. Etwas verlegen fügte er hinzu: „Aber ich kann nicht lange bleiben. Ich habeSage versprochen, wir würden uns später treffen.“
„Ein besitzergreifendes Mädchen, nicht wahr?“, fragte Daniel und wusste die Antwort. „Sei bloß vorsichtig! Besitzergreifende Frauen sind grässliche Nervensägen, sogar so attraktive wie Sage. Hör auf meinen Rat, und nimm dich vor ihr in Acht. Ein schwieriges Mädchen.“
„Sie war zu Hause nicht besonders glücklich“, erklärte Scott hastig. „Deshalb ist sie so empfindlich und fühlt sich ständig in die Defensive gedrängt. Aber im Grunde ist sie sehr süß.“
Süß … Wie konnte sich der Junge nur so täuschen? Bestenfalls war Sage ein süßes Gift.
Während Daniel seinen Besucher viel länger festhielt, als dieser es geplant hatte, sagte er sich, damit würde er nur allen beiden einen Gefallen tun. Früher oder später musste Sage einsehen, dass nicht alles im Leben nach ihrem Willen ging. Scott hatte zwar auf ihre unglückliche Kindheit hingewiesen, aber Daniel hielt sie eher für ein verhätscheltes Balg, das weder emotionale noch materielle Mangelerscheinungen kannte.
Als Scott in das kleine Haus übersiedelte, wartete Daniel halb ungeduldig, halb zynisch auf Sages Reaktion. Wobei der Zynismus seiner eigenen Person galt, die sich so brennend für das Mädchen interessierte.
Inzwischen war es zu mehreren Begegnungen gekommen – von ihm sorgfältig arrangiert, was weder Scott noch Sage merkten. Nur zu deutlich sah Daniel, wie verbissen sie gegen seinen Einfluss auf ihren Liebhaber kämpfte. Scott sollte nur ihr allein gehören, so wie sie ihm allein gehörte. Doch er besaß keine so leidenschaftliche Natur wie sie, empfand kein so heißes, besitzergreifendes Verlangen.
Daniel bezweifelte, dass die Romanze lange dauern würde. Und wenn sie zu Ende ging … Er runzelte die Stirn. Scott war sein Freund, aber Sage … Längst hatte er sich eingestanden, wie sehr er sie begehrte, heftiger als alle Frauen in seinem bisherigen Leben.
An einem Wochenende zu Beginn des dritten Semesters begleitete Scott sie nach Cottingdean, wo sie ihn ihrer Familie vorstellen wollte. Bei der Rückkehr schwärmte er von dem grandiosen Haus und ihrer Mutter. „Eine wunderbare Frau – wenn Sage sich auch nicht allzu gut mit ihr versteht. Schade – Liz Danvers ist etwas ganz Besonderes.“
Daniel beobachtete ihn aufmerksam. Scott würde Sage doch nicht aufgeben, um sich in ihre Mutter zu verlieben? Nun, eine Frau, die eine solche Tochter geboren hatte, musste schön und stark sein, und sie konnte einen Jungen wie Scott, der seine Mutter nie gekannt hatte, sicher faszinieren.
„Hat sie rotes Haar?“, fragte Daniel leichthin.
Scott schüttelte den Kopf. „Sie ist blond. Ein Glück, dass wir sie zu Hause antrafen! Sie war gerade erst aus Hongkong zurückgekommen. Dort hatte sie Wolle verkauft, die aus ihrer Spinnerei stammt. Ihr Erfolg ist unglaublich. Und sie hat das Unternehmen ganz allein aufgebaut. Sage erzählte mir, ihr Vater sei während der ganzen Ehe Invalide gewesen.“
„Offenbar nicht Invalide genug, um Sage zu zeugen“, wandte Daniel trocken ein.
„Nein, nein, das tat er nicht. Sage hatte einen zehn Jahre älteren Bruder, der während ihres letzten Schuljahrs bei einem Autounfall ums Leben kam. Sie selbst wurde durch künstliche Befruchtung gezeugt. Das hat sie mir erzählt. Aber sie spricht kaum darüber. Verständlich, dass ihr dieses Thema ein bisschen unangenehm ist … Sie sagte mir, ihr Vater hätte sie wohl nie richtig akzeptiert und sie nie wirklich als sein Kind betrachtet.“
Daniels Brauen zogen sich zusammen. Spürte Scott denn nicht, wie empfindlich es Sage stören würde, wenn sie erführe, dass er solche intimen Dinge ausplauderte? Sie wäre zutiefst verletzt, weil er ihr Geheimnis mit einem Dritten teilte. Aber Daniel
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