Schattenjahre (German Edition)
erwartete. Vielleicht würde immer eine gewisse Distanz zwischen ihnen bestehen, wie sie nun mal bei Eheleuten üblich war, die nicht aus Leidenschaft, sondern aus Vernunftgründen geheiratet hatten, aber sie würden ein angenehmes Leben führen. Ein schönes Heim, Kinder, materielle Sicherheit … Und bis dahin stillte er seinen sexuellen Hunger mit Affären, die sowohl ihm als auch seiner jeweiligen Partnerin Spaß machten, ohne emotionale Komplikationen.
Sage würde so etwas nie verstehen. Sie war gefräßig wie ein Raubtier und ebenso gefährlich, wollte alles haben, was ein Mann zu geben vermochte, und noch mehr, würde seine ausschließliche Aufmerksamkeit, seine totale Konzentration verlangen. Und wahrscheinlich würde sie ihn um den Verstand bringen.
Das alles wusste Daniel. Aber während er ihr die Tür des Pubs aufhielt, nur wenige Zentimeter von ihr entfernt, und den Duft ihres Haars und ihrer Haut einatmete, war er bereit, jedes Risiko auf sich zu nehmen, nur um mit ihr zu schlafen. Er würde sie lieben, bis diese grünen Katzenaugen ihn nicht mehr wild anfunkelten, sondern sanft schimmerten und tiefe Befriedigung verrieten. Und vorher wollte er sie reizen, bis sich ihr Körper unter seinem in sexueller Ekstase aufbäumte, bis sie in Wut und Lust seinen Namen schrie, bis sie ihn ebenso heiß begehrte wie er sie.
Glücklicherweise besaß er eine ausreichende Selbstkontrolle, um seine Gedanken vor Sage und Scott zu verbergen. Es erschreckte ihn ein wenig, wie skrupellos er die Loyalitätspflicht gegenüber dem jüngeren Freund verletzte. Noch nie hatte es ihn interessiert, in den Revieren anderer Männer zu wildern, schon gar nicht, wenn es sich um seine Freunde handelte. Außerdem gab es auch gar keinen Grund dazu. Er war ein Typ, zu dem sich die Frauen instinktiv hingezogen fühlten. Oft wurde er geradezu verfolgt, und deshalb hatte er schon vor längerer Zeit eine besondere Methode entwickelt, die Mädchen abzuwimmeln, ohne sie zu kränken.
Er mochte Frauen – aber die da nicht. Und das beruhte offensichtlich auf Gegenseitigkeit. Sardonisch überlegte er, wie lange sie wohl brauchen würde, um zu begreifen, was hinter dieser Antipathie steckte – nämlich ihr eigener Sexualtrieb. Würde sie sich das eingestehen?
Natürlich wollte er nicht schlecht von ihr denken. Sie konnte kaum älter als achtzehn sein. Aber er bezweifelte, dass Scott ihr erster Liebhaber war. Solche Mädchen reiften früh heran, entdeckten schon in zartem Alter ihr sexuelles Potenzial. Falls sie die letzten vier Jahre nicht hinter Klostermauern verbracht hatte, war sie sicher nicht als naive Jungfrau in Scotts Bett gesunken. Trotzdem schien sie seltsamerweise nicht zu erkennen, wie eng ihre Abneigung gegen Daniel mit ihrer Sinnlichkeit zusammenhing.
Absichtlich hielt er die beiden viel länger im Pub fest, als ursprünglich geplant. Er bestand darauf, sie dort zum Lunch einzuladen, und bekämpfte seinen Lachreiz, wann immer er Sage anschaute. Wie ihre Miene deutlich ausdrückte, wäre sie ihm am liebsten mit allen zehn Fingernägeln ins Gesicht gefahren. Und ebenso gern hätte sie ihm die unwillkommene Mahlzeit an den Kopf geworfen.
Hingegen freute sich der völlig arglose Scott über die Gesellschaft seines Freundes, und das begann Daniel zu ärgern. Wenn der Junge nicht aufpasste, würde er Sage verlieren. Andere Männer würden sich nicht scheuen, ihm das Mädchen wegzunehmen.
Oder war das gar nicht so leicht? Unbehaglich beobachtete Daniel, wie Sage fast verzweifelt ihren Stuhl näher zu Scott heranrückte, sich an ihn schmiegte, als wäre er ihr einziger Schutz, ihre einzige Sicherheit in einer Welt, die sie ängstigte. Unmöglich – so ein Typ war sie nicht. Und doch – er las tatsächlich Furcht in ihrem Blick, während sie ihren Liebhaber anschaute. Vermutlich widerstrebte es ihr, ihn aus den Augen zu lassen. Wie ihr Gesicht strahlte, sobald er zu ihr zurückkehrte, nachdem er kurz zur Bar gegangen war. Wie sie sich mühsam beherrschte, um ihn nicht zu berühren … Wie ihre Arroganz schwand, wann immer sie ihn betrachtete … Beinahe entstand der Eindruck, Scott könnte alle ihre seelischen Bedürfnisse befriedigen, Herzenswunden heilen, den Angelpunkt ihres Lebens bilden, das ohne ihn leer und sinnlos wäre.
Dieses Ausmaß an Unsicherheit und Abhängigkeit überraschte Daniel und erregte sein Interesse an ihrer Herkunft, ihrer Vergangenheit. Was hatte sie so verletzlich gemacht? Warum fand sie ausgerechnet in
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