Schattenjahre (German Edition)
kennen. Das können wohl nur wenige Leute. Aber bei unserer bislang einzigen Begegnung fand ich sie sehr interessant.“
Sage spürte, wie ihre Kinnlade nach unten klappte, aber ehe sie den Mund richtig schließen konnte, schaute Daniel darauf und lächelte. „Willst du Fliegen fangen?“
Wütend presste sie die Lippen zusammen.
„Ich traf deine Mutter, als die Neuigkeit von der geplanten Straße bekannt wurde. Sie besuchte die Versammlung anlässlich des Projektbeginns, und ich war auch da.“ Daniel verschwieg, dass Liz Danvers ihn nicht wegen seiner Position als Aufsichtsratsvorsitzender des von der Regierung beauftragten Bauunternehmens angesprochen hatte. Vielmehr erinnerte sie sich an den Namen des Mannes, der sie vor langer Zeit mehrmals angerufen hatte, um sich nach dem Befinden ihrer Tochter zu erkundigen – in den dunklen Monaten, die der Trennung von Scott gefolgt waren.
Bei jener Versammlung hatte er lange mit Liz geredet. Nachher war ihm vieles an Sage verständlicher erschienen, was ihn zuvor verwirrt hatte.
Ärgerlich über sich selbst, wich Sage seinem Blick aus. Warum zum Teufel hatte sie nicht bedacht, dass er ihre Mutter – die Vorsitzende des Cottingdean-Komitees – vermutlich kennen würde? Warum erlaubte sie ihren Gedanken, in die Vergangenheit zurückzuschweifen, noch dazu auf persönlicher Ebene, und dadurch den Boden unter ihren eigenen Füßen wegzuziehen? „Leider habe ich vergessen, was für ein bedeutender Mann du heutzutage bist“, entgegnete sie bissig. „Aufsichtsratsvorsitzender einer großen Baufirma und Manager einer Tochtergesellschaft …“
„Mhm“, stimmte Daniel zu, nicht sicher, wohin die Konversation führen würde. Doch nun musste sie wohl oder übel bald zum Grund dieses Treffens kommen.
„Du leugnest also nicht, Hever Homes zu leiten?“, hakte sie nach.
Er starrte sie an und zuckte die Achseln. „Warum sollte ich?“
„Das weiß ich nicht“, erwiderte Sage, aalglatt wie eine Schlange vor dem Angriff. Fasziniert beobachtete er, wie die grünen Augen ihre wechselnden Stimmungen widerspiegelten. Sosehr sie sich auch darum bemühen mochte – es würde ihr nie gelingen, ihre Gefühle völlig zu verbergen, zumindest nicht vor den Menschen, die sie kannten.
Unbehaglich stellte er fest, dass er sie viel zu intim kannte, viel zu viele Einzelheiten über diese Frau wusste, die er vermeintlich seit fünfzehn Jahren aus seinen Gedanken verbannte. Und er fragte sich auch, warum in aller Welt sie trotz ihrer unzähligen Liebhaber immer noch so zerbrechlich und verwundbar wirkte. Er hatte sehr wohl bemerkt, wie sie bei seiner Ankunft zurückgewichen war. Nicht wie jemand, der arroganten Zorn angesichts eines unbefugten Eindringlings empfindet, eher wie eine Frau, die sich von der Nähe eines Mannes bedroht fühlt.
Das hatte ihn interessiert und verwirrt, insbesondere, weil es so schnell und instinktiv geschehen war, ohne jede Künstelei. Sage steckte voller Widersprüche, ein Kind mit der Maske einer Karrierefrau. Eine Nymphomanin, die den Gerüchten zufolge dem Sex um seiner selbst willen frönte – und gleichzeitig ein mädchenhaftes Wesen, das vor der Berührung eines Mannes wie eine scheue Jungfrau zurückschreckte. Doch das war sie nicht. Hatte sie bei jenem ersten Mal an Scott gedacht, sich mit der ganzen Leidenschaft eines Wesens nach ihm gesehnt? War sie daheim in ihrem einsamen Bett der Illusion verfallen, der Mann, der ihr die Jungfräulichkeit geraubt hatte, wäre ihr geliebter Scott gewesen?
Die Unterredung wurde kurz unterbrochen, als Jenny ein Teetablett in die Bibliothek brachte und sich sofort wieder zurückzog.
Sage goss den Tee mit derselben stilvollen Anmut ein, die alle ihre Bewegungen prägte. Aber da war auch ein gewisses Zögern, eine momentane Ungeschicklichkeit, die Daniel veranlasste, instinktiv die Hand zu stützen, in der sie die Kanne hielt.
Seine Finger umschlossen ihr Handgelenk, und er spürte ihre Anspannung. Zufällig lag sein Daumen auf dem viel zu rasanten Puls. „Fass mich nicht an!“, stieß sie atemlos hervor.
In ihren Augen las er etwas, das sie nicht verbarg, weil der Stolz es ihr verbot: dass sie sich ebenso lebhaft wie er an jene Nacht erinnerte, als sie ihn um das Gegenteil gebeten hatte.
Langsam löste er seine Finger von ihrem Handgelenk und wusste, noch lange nach dem Abschied würde der Duft an seiner Haut haften, den die kurze Berührung hinterlassen hatte. „Was willst du mir sagen, Sage?“
„Es geht
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