Schattenjahre (German Edition)

um folgendes.“ Sie stellte die Kanne ab, traute sich nicht zu, Daniel eine Tasse zu reichen, und bedeutete ihm stattdessen nur, welche für ihn bestimmt war. Dann zwang sie sich, den Eindruck zu erwecken, sie wäre Herrin einer Situation, deren Kontrolle ihr allerdings zu entgleiten drohte. „Wie ich zufällig herausfand, hast du als Leiter von Hever Homes die Old Hall und die dazugehörigen zehn Morgen Land gekauft – zweifellos in der Absicht, dort eine Wohnanlage in diesem schäbigen neo-georgianischen Stil oder dergleichen zu errichten.“ Sie seufzte verächtlich. „Dabei willst du natürlich einen riesigen Profit machen. Dieses Land hast du erworben, noch ehe die Route der geplanten Straße bekannt wurde. Sicher warst du bereits darüber informiert. Was wird die Öffentlichkeit wohl denken, wenn sie aus den Medien erfährt, ein Aufsichtsratsvorsitzender, der angeblich so hohen Wert auf seine Ehre und Moral legt, habe Informationen, die ihm dank seiner privilegierten Position zugänglich waren, zur persönlichen Bereicherung benutzt? Und um allem die Krone aufzusetzen, hast du die frühere Besitzerin des Anwesens auch noch mit falschen Versprechungen umgarnt und behauptet, man würde das Haus nicht abreißen.“
    Daniel starrte sie an, nippte nachdenklich an seinem Tee und stellte dann die Tasse ab. Mit angehaltenem Atem wartete Sage auf einen wütenden Gegenangriff. Doch er erwiderte nur in ruhigem Ton: „Du hast deine Hausaufgaben gemacht, nicht wahr? Was genau willst du eigentlich von mir?“
    Nun war es an ihr, ihn anzustarren. Sie hatte mit Zorn, Sarkasmus, Empörung über ihre Taktik gerechnet, keinesfalls mit dieser Gelassenheit. Es dauerte eine Weile, bis sie merkte, dass er auf eine Antwort wartete. Und dann hörte sie, wie heiser und unsicher ihre eigene Stimme klang – die Stimme einer Unterlegenen, die um Vergünstigung bat, nicht einer Siegerin, die ihre Bedingungen stellte. „Ich möchte, dass Cavanagh Construction das Straßenprojekt aufgibt.“
    Daniel blieb so gleichmütig wie zuvor. „Zu welchem Zweck? Ist das ein persönlicher Rachefeldzug? Willst du Vergeltung an mir üben wegen irgendwelcher Dinge, die in der Vergangenheit geschehen sind?“ Er machte eine Pause und beobachtete Sage aufmerksam. „Oder verfolgst du uneigennützige Interessen?“
    Zum ersten Mal an diesem Abend sah er ihr Gesicht erröten, und sie tat ihm fast leid, wie sich die tüchtige Geschäftsfrau vor seinen Augen in ein ängstliches Mädchen verwandelte.
    Jetzt war sie vierunddreißig, und sie besaß immer noch den zarten, makellosen Teint einer Neunzehnjährigen. Es drängte Daniel, die seidige Glätte dieser Wangen zu berühren. Schmeckte ihre Haut heute genauso wie damals? Sekundenlang schloss er die Lider und wünschte, er hätte es nicht getan, denn er wurde von Visionen ihres nackten Körpers heimgesucht, der ihm die Arme entgegenstreckte. Ein Bild, das ihn seit fünfzehn Jahren verfolgte …
    „Wie kannst du es wagen, mir persönliche Motive zu unterstellen?“, fauchte sie. „Glaubst du, ich bin dumm genug, um dir jahrelang zu grollen – oder die damaligen Ereignisse wären mir immer noch wichtig? Mir geht es nur um die Straße, Daniel. Dabei spielt es nicht die geringste Rolle, ob ich dich kenne oder nicht. Ich würde es sogar vorziehen, wenn du ein Fremder wärst.
    Natürlich bin ich nicht so tüchtig wie meine Mutter, aber ich werde mein Bestes tun, um ihre Bemühungen fortzusetzen. Bei meiner Ankunft in Cottingdean fand ich es albern, so viel Aufhebens um eine Straße zu machen. Was bedeutet es schon, wo sie verläuft? Irgendwelche Leute müssen eben ihre Gärten oder Äcker opfern. Warum nicht die Bewohner dieses Dorfes? Aber dann erkannte ich, was die Straße in Wirklichkeit anrichten würde, und ich erfuhr, wie die Leute hier darüber denken. Das ist kein verschlafenes Dorf, wo ein paar Londoner ihre Wochenendhäuser haben, sondern eine arbeitende Gemeinde, die nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft hat – eine Zukunft, die diese Menschen für ihre Kinder und Enkel gestalten wollen. Und sie möchten nicht, dass ihr Leben durch eine Schnellstraße zerschnitten wird, die genauso gut um die Häuser herum führen könnte. Meine Mutter muss ganz bestimmte Pläne haben. Am Tag ihres Unfalls war sie in London. Wer weiß, mit wem sie sich traf? Sie kennt viele bedeutende Persönlichkeiten. Ich kann nur versuchen, Zeit zu gewinnen, bis es ihr besser geht, bis sie imstande ist, den