Schattenjahre (German Edition)
Häuser, die abgerissen werden sollten, standen zum Verkauf.“
Daniel grinste, weil sie diese zweifellos sehr wertvollen Antiquitäten „altes Zeug“ nannte. Beim Betreten dieses Raumes war er etwas verblüfft gewesen angesichts einer Sage im Outfit knochenharter amerikanischer Karrierefrauen – oder zumindest in ihrer eigenen, einzigartigen, sehr femininen Version dieses Typs. Hatte sie das Seidenhemd gewählt, weil es ihre Brüste betonte? Doch dann fand er diesen Gedanken unfair. Wie er sie kannte – und er hatte sie gut gekannt, trotz des Debakels bei der letzten Begegnung –, durfte er sie nicht der absichtlichen sexuellen Provokation bezichtigen. So etwas hatte sie gar nicht nötig.
Die Gerüchteküche verkündete, in letzter Zeit lebe sie völlig enthaltsam. Stimmte das? Welch ein Sinneswandel nach den wilden Jahren, als sie die Liebhaber fast so häufig gewechselt hatte wie ihre Kleider … Falls es tatsächlich stimmte – doch von dieser Frau war schon immer diese unvermutete Aura innerer Reinheit ausgegangen.
Er erinnerte sich, wie sie Scott wegen seines beiläufigen Vorschlags, doch mal die in damaligen Studentenkreisen fashionablen Halluzinationsdrogen auszuprobieren, erbost beschimpft hatte. Anschaulich beschrieb sie die damit verbundenen Gefahren. Daniel selbst hatte in jenen Zeiten keine Drogen genommen und auch später nie Verlangen danach verspürt. Damals war ihm bewusst geworden, zu welch einer charakterfesten, willensstarken Frau Sage sich entwickeln könnte. Sobald sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, würde niemand sie davon abbringen. Und wenn sie beschlossen hatte, auf Sex zu verzichten – nun, dann war sie einem Trend voraus, der erst allmählich in Mode kam.
„Du wolltest etwas mit mir besprechen“, sagte er, als sie einladend auf einen Sessel wies. „Etwas, das nicht warten kann.“
„Ja. Ich habe Jenny gebeten, Tee zu servieren. Aber wenn du Kaffee vorziehst …“
Früher hatte er nur Kaffee getrunken, immer nur Kaffee. Nun schaute er in Sages kühle grüne Augen, lächelte genauso schlangengleich wie sie und schüttelte den Kopf. „Tee ist okay. Wie so viele andere Leute heutzutage neige ich zu übertriebenem Gesundheitsbewusstsein. Und das Risiko einer Koffeinvergiftung hat mich in einen Teetrinker verwandelt.“
„Mein Gott“, erwiderte sie gedehnt, „wie sich die Zeiten ändern … Ist das wirklich der hartgesottene Bursche aus den Waliser Bergen, der sich nun vor einer Tasse Kaffee fürchtet, weil sie seine Adrenalinproduktion steigern könnte?“
Daniel weigerte sich, nach dem Köder zu schnappen, und entgegnete in falscher Sanftmut: „Oh, ich glaube, in dieser neuen Zeit legen wir alle viel Wert auf unsere Gesundheit.“
Falls sie die Anspielung verstand, zeigte sie es nicht. Die Röte, die früher so rasch und verräterisch in die blassen Wangen gestiegen war, hatte Sage nun offenbar unter Kontrolle. In den grünen Augen erschien nur sekundenlang ein schwaches Glitzern, das genauso gut Belustigung wie auch Ärger bedeuten konnte. Sie verhielt sich sehr selbstbewusst.
„Wie du wahrscheinlich weißt, musste ich von heute auf morgen den Platz meiner Mutter als Vorsitzende des Protestkomitees einnehmen“, wechselte sie das Thema. „Ich fand noch keine Zeit für gründliche Recherchen.“
„Nein? Übrigens, wie geht es deiner Mutter?“ Er unterdrückte ein Lächeln, als sie erstaunt die Brauen hob.
„Unverändert.“ Ihr Tonfall besagte, er habe kein Recht, solche persönlichen Fragen zu stellen. Früher – auch nach dem Tag, als er erfahren hatte, dass er nicht John Ryans, sondern Roberts Sohn war – hätte ihn eine solche Abfuhr geärgert und die empfindsamen Teile seiner Seele zu schmerzlich berührt. Nun war er reifer und klug genug, um sich über so etwas zu amüsieren.
Seine gleichmütige Belustigung irritierte Sage. Für einen Augenblick vergaß sie, wer er war – ihr gefährlicher Feind. Und sie reagierte auf seine unverschämte männliche Arroganz ebenso wie die Sage von Alcester. Herausfordernd fügte sie hinzu: „Ich wusste nicht, dass du meine Mutter kennst.“ Schon im nächsten Moment bereute sie diese Worte. Natürlich kannte er ihre Mutter nicht, und indem sie darauf hinwies, verhielt sie sich nicht wie die selbstsichere, unabhängige Frau, die sie ihm präsentieren wollte, sondern wie das Kind, das sie früher gewesen war.
Zu ihrer Überraschung bestätigte er ihre Bemerkung nicht. „Nun, ich kann nicht behaupten, sie zu
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