Schattenjahre (German Edition)
kontrolliert werden musste. Und als sie Daniel in jener Nacht anschaute und diesewilde Lust verspürte, hasste sie ihn mit der ganzen Leidenschaft ihres Herzens.
Jemand, der sie nicht so gut kannte wie sie sich selbst, würde gewiss nicht verstehen, warum sie sich – nachdem sie von Daniel zurückgewiesen worden war – in zahlreiche Affären gestürzt hatte. Dafür gab es eine einfache Erklärung. Die Männer, in deren Armen sie den körperlichen Ausdruck ihrer sinnlichen Natur genoss, besaßen nicht die Macht, ihr ebenso tiefes emotionales Wesen zu erreichen. Sage begehrte diese Männer in physischer Hinsicht, freute sich an raffinierten Liebeskünsten, fand bei manchen ihrer Bettgefährten sogar intellektuelle Anregungen. Aber sie hütete sich vor Beziehungen, die eventuell ihre Gefühle verletzen könnten.
Die Lektionen ihres Lebens hatte sie auf die harte Tour gelernt. Keiner von den Menschen, die sie liebte, vergalt es ihr auf die gleiche Weise. Alle sahen ihre Fehler und lehnten sie deshalb ab – der Vater, die Mutter, Scott. Es war viel ungefährlicher gewesen, nur ihrer Sexualität zu frönen.
Und jetzt hatte auch das seinen Reiz verloren. Wie ein Kind, mit Süßigkeiten vollgestopft, wandte sie sich von diesem Amüsement ab und fand in ihrer Arbeit eine viel größere, dauerhaftere Befriedigung als jemals in den Armen eines Liebhabers.
Wenn sie jetzt zurückblickte, betrachtete sie die Frau, die sie einmal gewesen war, mit einer gewissen distanzierten Belustigung. Zum ersten Mal, seit sie denken konnte, fühlte sie sich wohl in ihrer Haut, akzeptierte ihre Persönlichkeit mit allen Fehlern und Schwächen, sah ein, dass sie niemals so wie ihre Mutter sein würde, sondern immer nur sie selbst. Sie beobachtete, wie alte Freundinnen heirateten und Familien gründeten, und blickte spöttisch auf dieses – in ihren Augen lemminghafte – Bedürfnis hinab, das hormonelle weibliche Schicksal zu erfüllen. Sie war eine Einzelgängerin, und das gefiel ihr. Ihr Leben schenkte ihr Zufriedenheit, zumindest in dem Maße, wie man es auf dieser Welt erwarten durfte. Über das Alter, als sie geglaubt hatte, ein Menschenleben wäre nur sinnvoll, wenn es mit einer verwandten Seele geteilt wurde, war sie längst hinaus. Schon vor vielen Jahren hatte sie die Suche nach ihrer zweiten Hälfte aufgegeben, diese emotionale Bürde mit kühler Vernunft abgelegt. In Scott hatte sie jene andere Hälfte zu finden geglaubt. Und deshalb war ihr bei der Trennung zumute gewesen, als hätte man ihr einen Teil ihres Ichs geraubt.
Später hatte sie eingesehen, dass sie ihn in einer Ehe wahrscheinlich vernichtet hätte, dass sie die stärkere Persönlichkeit besaß. Trotzdem war sie in den gemeinsamen Monaten unter seinem besänftigenden Einfluss irgendwie anders geworden.
Und die Nacht, als sie sich so verzweifelt in Daniels Arme geworfen hatte … Hör auf, befahl sie sich, denk nicht mehr dran. War sie denn nicht lange genug vom sengenden Feuer der Selbstverachtung gequält worden? Daniel hatte sie abgewiesen, und dafür sollte sie ihm dankbar sein, denn wenn sie ein Liebespaar geworden wären …
Obwohl sich ihr Verstand dagegen wehrte, bewahrte ihr Körper immer noch gefährliche Erinnerungen – an kraftvolle Finger, die ihre Haut berührt und Nervenenden gereizt, das pulsierende Fleisch ihrer Brüste aufgewühlt, rastlose Hitze durch ihren Bauch gejagt, den Wunsch geweckt hatten, ihn auf gleiche Weise zu liebkosen, nicht sanft und jungfräulich, sondern voller Hunger und Sehnsucht.
Ja, sie müsste ihm wirklich dankbar für die Zurückweisung sein. Hätte sie jenem Drang nachgegeben, wäre sie letzten Endes zerstört worden. Und doch – die Ablehnung verletzte immer noch ihren Stolz. Manchmal erwachte sie in stillen Nächten – mit schmerzendem Körper und wirren Gedanken, das Gesicht tränennass, noch ganz im Bann eines Traums, wo sie wieder jene heiß begehrten Liebkosungen gespürt hatte – so intensiv, dass ihre Wünsche sie wohl bis in alle Ewigkeit verfolgen würden. Doch dann verscheuchte die Realität das dunkle Reich der Träume, die Vernunft alle unlogischen Schwächen. So lange hatte sie nicht an Daniel gedacht, nicht mehr, seit sie endlich erwachsen geworden war. Nun wusste sie, dass sie die Fähigkeit besaß, allein und unabhängig zu leben, geleitet von ihrer inneren Kraft, ihrer Willensstärke, ihrem Stolz.
Sie brauchte keinen Daniel Cavanagh.
Warum hatte sie ihn dann am letzten Abend eingeladen? Nicht aus
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