Schattenjahre (German Edition)
Wunsch.
In ihrer zunehmenden weiblichen Reife erkannte sie auch die Vorteile, die es ihrem Kind bringen würde, wenn Edward es als sein eigenes betrachtete, statt ständig an den leiblichen Vater erinnert zu werden. Er hatte Kit nicht gemocht, das war ihr inzwischen klar geworden. Und um der ganzen Familie willen musste sie verhindern, dass diese Abneigung auf das Baby abfärbte.
Der Aufstieg ermüdete sie. Bei ihrer ersten Wanderung auf diesem Hang hatte sie den Weg nicht so steil gefunden. Doch das war vor drei Monaten gewesen, an einem warmen Herbstnachmittag. Nun spürte sie die Winterkälte trotz des Sonnenscheins, und sie trug nur einen dünnen Mantel. Aber vom Gipfel aus würde sie einen prachtvollen Ausblick auf Cottingdean und das Land ringsum genießen. Nicht nur diese Gewissheit trieb sie bergan. Woran es sonst noch lag, konnte sie sich nicht erklären. Sie wusste nur, dass sie unbedingt da hinauf musste.
Unterhalb des Gipfels wuchs kein Gras, der Boden war steinig und unfruchtbar bis auf ein paar verkümmerte Pflanzen. Als Liz dieses Gebiet erreichte, keuchte sie, ihre Beine und ihr Rücken schmerzten. Sicher hatte sie sich zu weit heraufgewagt, aber nun war der Gipfel in Sicht, und sie setzte ihren Weg entschlossen fort.
Plötzlich trat sie versehentlich auf loses Geröll. Sie rutschte aus, verlor das Gleichgewicht und konnte ihren Sturz nicht verhindern. Erschrocken blieb sie liegen, wie erstarrt und unfähig, ihre Situation zu überdenken. Sie zitterte am ganzen Körper, ihr Herz schlug wie rasend.
Mehrere Minuten verstrichen, ehe sie sich zu bewegen wagte. Sie streckte die Arme und Beine und stellte erleichtert fest, dass nichts gebrochen war. Mühsam stand sie auf. Doch sie hatte nicht nur ihre eigene, sondern auch die Sicherheit des Babys aufs Spiel gesetzt. Das wurde ihr schmerzlich bewusst, während sie vorsichtig bergab stieg.
Wie hatte sie nur so leichtsinnig sein können? Die Sehnsucht nach der Sicherheit des Hauses glich einem verzweifelten Puls, der drängend in ihr pochte. Sie musste sich zwingen, langsam und bedächtig einen Fuß vor den anderen zu setzen, nicht Hals über Kopf loszulaufen. Immer wieder berührte sie ihren gewölbten Bauch, um sich selbst und das Kind zu beruhigen. Leise sprach sie mit ihm, klagte sich an, sie sei eine idiotische Mutter, und bat es um Verzeihung. In letzter Zeit redete sie oft mit dem Baby. Manchmal saß sie dabei sogar neben der leeren Wiege, die der Gärtner des Vikars vom Dachboden heruntergeholt und mitgenommen hatte, um sie ein paar Tage später zurückzubringen, makellos gereinigt und mit Babybettzeug versehen, einem Geschenk von der Vikarsgattin.
Die gute Frau verriet nicht, dass sie ihrer Schwägerin in den Ohren gelegen hatte, um die Babysachen von deren Tochter zu erbetteln, die nach der Geburt ihres dritten Kindes schwor, sie würde nie wieder eins bekommen.
Auf halber Höhe des Hangs begann Liz gerade etwas freier zu atmen und die verkrampften Muskeln zu entspannen, als die erste Schmerzwelle durch ihren Körper fuhr. Abrupt blieb sie stehen und erschauerte. An der Bedeutung dieses intensiven Stechens gab es keinen Zweifel.
Entschlossen ging sie weiter, jetzt etwas schneller, und flehte ihr Baby an, noch ein kleines bisschen zu warten. Erneut machte sie sich bittere Vorwürfe wegen ihres Leichtsinns. Andererseits versuchte sie sich einzureden, es gebe keinen Grund zur Panik, denn sie rechnete erst in vier Wochen mit der Geburt. Kurz nachdem dieser Gedanke sie besänftigt hatte, begann die nächste Wehe.
Vic sah sie den Hang herabsteigen und runzelte die Stirn. Warum entfernte sie sich so weit vom Haus, in ihrem Zustand? Beinahe erinnerte sie ihn an seine jungen, übermütigen Mutterschafe, die noch nicht an die Bürde der Trächtigkeit gewöhnt waren.
Er beobachtete, wie Liz stehen blieb und die Hände auf den Bauch presste. Zu weit weg, um ihre Miene auszumachen, ahnte er trotzdem, was geschehen würde. Ohne lange zu überlegen, rannte er zu ihr.
Zwei Meilen trennten Liz Danvers von Haus Cottingdean, eine halbe Meile von der Schäferhütte. Während er bergauf lief, rief er seine Hunde und beauftragte sie, die Herde zu bewachen.
Auf ihre Schmerzen konzentriert, hatte Liz den Schäfer noch nicht bemerkt. Irgendwie musste sie das Haus erreichen, aber mit jeder Wehe schwanden ihre Kräfte. Als Vic sie erreichte, krümmte sie sich verwirrt, die Arme um den Leib geschlungen, die Augen groß vor Entsetzen. Sie sah ihn und sah ihn doch
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