Schattenjahre (German Edition)
sicher genug erhalten, um eine Arbeitskraft einstellen zu können. Davon sprach er allerdings nicht mehr, und Liz widerstrebte es, das Thema anzuschneiden.
Ende November fiel der erste Schnee. Eines Morgens wurde sie vom ungewohnt hellen Licht vor dem Fenster geweckt. Edward und Liz schliefen in getrennten Räumen im Erdgeschoss und teilten sich ein großes, zugiges Bad. Vor jeder körperlichen Intimität schreckte sie zurück, und deshalb wurde sie oft von Schuldgefühlen gequält.
Nach der Ankunft in Cottingdean hatte Edward eine gewisse Unabhängigkeit erzielt. Beim Ankleiden brauchte er die Hilfe seiner Frau nicht mehr. Er hatte gelernt, den Rollstuhl zu steuern, und fuhr im Erdgeschoss umher. Aber bei kaltem, feuchtem Wetter peinigten ihn die Schmerzen in den Beinstümpfen. Dann wurde er reizbar und wortkarg. Und so seufzte Liz tief auf, als sie die Bedeutung der Helligkeit vor den Fenstern erkannte.
Früher – es musste eine halbe Ewigkeit her sein – hatte sie sich in jedem Winter über denersten Schnee gefreut. Und sie bewunderte immer noch die Natur, die eine Landschaft über Nacht so völlig verwandeln konnte. Aber nun wurde dieses Entzücken von praktischen Erwägungen verdrängt. Der Brennholzvorrat ging zur Neige. Die Hühner brauchten für den Winter einen Stall, und die Ziegen … Mittlerweile hatte sie sich damit abgefunden, niemals solche Tiere zu besitzen.
Sie machte gerade Feuer im Herd, als sie lautes Hundegebell hörte. Sobald ihr die Ursache dieses Lärms bewusst wurde, erstarrte sie.
Die einzigen Hunde in Cottingdean gehörten dem jungen Vic. Sie richtete sich auf und trat steifbeinig ans Fenster. Und da sah sie ihn in den Hof kommen, den Rücken gebeugt von der Last des Schlittens, den er hinter sich herzog. Sie runzelte die Stirn und öffnete die Tür. Trotz der Kälte wirkte seine Haut warm, glühend vor Vitalität. Diese Eiseskälte, die Liz bis auf die Knochen kroch, schien er nicht zu spüren. Und die dicken Flocken schienen ihm ebenso wenig anzuhaben wie seinen Hunden.
„Ich habe ein paar Holzscheite mitgebracht“, erklärte er unbefangen. „Die staple ich an der üblichen Stelle, wenn’s Ihnen recht ist. Tut mir leid, dass ich so spät dran bin, aber ich hatte Schwierigkeiten mit einem Mutterschaf. Eigentlich müsste dieses Holz bis zum nächsten Winter gelagert werden, wenn es richtig brennen soll.“
Liz starrte ihm nach – während er den Schlitten zum Stall zog und eine Plane entfernte. Darunter lag ein hoher Stapel Brennholz, säuberlich zerkleinert – genug, um den Boiler für den ganzen Winter mit Warmwasser zu füllen. Unerwartete Tränen stiegen in ihre Augen und schnürten ihr die Kehle zu. Als sie dagegen ankämpfte, merkte sie, wie lange sie nicht mehr um ihre tote Liebe geweint hatte. Kit … Nur noch selten gestattete sie sich, an ihn zu denken. Was hätte das auch für einen Sinn? Nie wieder würde er sie in den Armen halten, nie wieder beteuern, wie sehr er sie liebe …
Sie ahnte nicht, dass Vic die ganze Nacht gearbeitet hatte, um Bäume zu fällen und das Holz zu hacken. Das gehörte keineswegs zu seinen Routinepflichten, was seine lässige Haltung allerdings nicht verriet. Er hatte es für Liz getan, aus Mitleid mit ihrer Schwäche, aus Achtung vor ihrer Kraft.
Der Schlitten war halb leer, als sie sich endlich dazu durchrang, dem Schäfer eine Tasse Tee und eine Scheibe von ihrem selbst gebackenen Brot in den Stall zu bringen. Sein warmherziges, natürliches Lächeln und die sichtliche Wertschätzung ihrer Gastfreundlichkeit führten ihr wieder einmal vor Augen, was für ein guter Mensch er war – obwohl sie sich angesichts seiner maskulinen Stärke unbehaglich fühlte.
Später, nachdem er das gesamte Brennholz abgeladen hatte, kam er mit der leeren Tasse in die Küche. Liz dankte ihm, und er erklärte beiläufig: „Jetzt muss ich mich wieder um die Herde kümmern.“
Bald schmolz der Schnee, der über Nacht gefallen war, aber er warnte vor dem Einzug des Winters – eines Winters, auf den sie nicht vorbereitet waren, wie Liz in ihrem kalten Schlafzimmer fröstelnd feststellte.
In der zweiten Dezemberwoche herrschte ungewöhnlich schönes Wetter. Die Sonne schien, und aus unerklärlichen Gründen zog es Liz ins Freie hinaus. Im Herbst hatte sie begonnen, die fehlenden Paneele der Hallentäfelung zu ersetzen. Aber in den letzten Wochen der Schwangerschaft wurde ihr Körper immer schwerfälliger, und sie konnte sich nicht mehr bücken oder
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