Schattenkampf
Geräusch eines aufgehenden Garagentors oder eines näher kommenden Autos lauschend, zwang er sich, zu warten, bis der Bildschirm schwarz wurde. Dann stand er auf und stellte den Stuhl dahin zurück, wo er hoffte und glaubte, dass er gewesen war. Nachdem er alle Schreibtischschubladen bis zum Anschlag zugeschoben und sich ein letztes Mal vergewissert hatte, dass die Diskette in seiner Hemdtasche war, ging er durch das Wohnzimmer zur Haustür, verriegelte sie von innen, spähte durch das Fenster nach draußen, stellte fest, dass die Luft rein war, und verließ das Haus.
14
Das letzte Kind war vor zwei Stunden nach Hause gegangen, die aus dem Flur kommenden Geräusche waren schwach und fern. Das gelegentliche Surren des Kopiergeräts weit hinten im Sekretariat drang kaum in Taras Bewusstsein, als sie aus dem Fenster ihres Klassenzimmers schaute. Sie hatte den Blick auf die kleine Gruppe von Eichen auf der Kuppe
des Hügels gleich auf der anderen Straßenseite immer schon ausgesprochen schön gefunden, zumal die Straße von ihrem Schreibtisch nicht zu sehen war, weshalb sie genauso gut gar nicht hätte da sein können. Sie konnte sich vorstellen, dass der Hügel fern von allem Alltäglichen oder Vorstädtischen war - vielleicht in der Toscana, wo sie nie gewesen war. An manchen Spätnachmittagen wie diesem, wenn sich die vom Wind zu ihr herauf getragenen Frühlingsdüfte von Flieder und Jasmin mit den näheren Gerüchen von Bleistiften und Kreide mischten, war dieses Klassenzimmer ihr liebster Platz auf der ganzen Welt.
Sie hatte das Gefühl, die Momente, in denen sie total glücklich und zufrieden gewesen war, an den Fingern abzählen zu können, und viele davon hatte sie hier erlebt. Einige der altgedienten Lehrer hier in St. Charles waren im Lauf der Jahre vielleicht ein wenig zynisch geworden, aber entweder war Tara noch nicht lang genug an der Schule, oder sie brachte die genetischen Voraussetzungen für Zynismus nicht mit; das war einfach nicht ihre Art. Sie liebte ihre Kinder immer noch. Jedes Jahr ein frischer Schwung, und jedes Jahr neue Herausforderungen - o ja, vielen Dank, Herausforderungen -, aber auch etwas Neues, was man lernen, womit man sich auseinandersetzen, was man lieben konnte. Wie frischer Ton. Das war, wie sie ihre Klassen sah, wenn das Schuljahr begann. Als frischen Ton, der geformt werden konnte.
Während sie nun vor sich hin träumend in ihrem Schreibtischsessel saß, hatte sich ihr Miene zu einem Ausdruck tiefer Ruhe entspannt. Es war ein Tag fast genau wie dieser gewesen, mild und duftend - wie lange war das jetzt her, drei Jahre? Sie erinnerte sich, dass sie den ganzen Tag stinksauer auf
sich gewesen war, weil sie bei ihrem ersten Date mit diesem neuen Typen, Evan, so zugänglich gewesen war. Zu zugänglich. Sie hatte sich einfach enorm stark von ihm angezogen gefühlt und es ihn spüren lassen und nicht ernsthaft dagegen angekämpft. Nicht gegen so eine Glut.
Aber wenn sich nun wieder das alte Klischee bestätigte und sie deshalb in seiner Achtung sank und er nicht mehr anrief? Na, na, na, sie war eine intelligente Frau mit einem guten Beruf, die wusste, dass sie ihr Leben auf keinen Fall ganz auf einen Mann ausrichten würde, und trotzdem schien die Vorstellung, diesen Mann, dem sie nur ein einziges Mal begegnet war, nie mehr zu sehen, plötzlich unerträglich.
Und so war sie, über sich selbst verärgert, von ihrem Schreibtisch aufgestanden und ans Fenster gegangen, um die Gerüche im Freien zu riechen, denn das half immer, wenn sie niedergeschlagen oder verzagt war, und dann hatte sie nach unten geschaut und Evan gesehen, wie er mit einem Blumenstrauß in der Hand aus seinem Auto stieg. Der glücklichste einzelne Moment in ihrem ganzen Leben.
Mit einem Seufzer schlug sie die Augen auf, überrascht, dass dieser glückliche Tagtraum so viel Emotionen hervorgerufen hatte, dass ihr fast die Tränen kamen. Sie atmete tief ein, betupfte ihre Augen und stieß sich vom Schreibtisch zurück. Zeit, nach Hause zu fahren. Es hatte keinen Sinn, der Vergangenheit nachzuhängen. Mit diesem unglaublichen Blütenduft draußen in der milden Luft war es immer noch ein herrlicher Tag.
Sie ging ans Fenster, um ein letztes Mal den Tag zu riechen. Und dann schaute sie auf die Straße hinab.
Dort stieg Evan gerade aus seinem Auto. Ohne Blumen. Aber es war er, und er kam, um sie endlich zu besuchen.
Diesmal kamen ihr wirklich die Tränen, und ihre Hand fuhr an ihren Mund. Dann ließ sie sie auf die
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