Schattenkinder
in der Sport-Familie gab es tatsächlich ein drittes Kind - würde es verstehen, was Luke meinte? Ging es ihm vielleicht genauso?
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Margaret Peterson Haddix - Schattenkinder
Kapitel 10
Als Luke zum Abendessen hinunterging, sah er, dass die Mutter seine beiden Brote auf den Porzellanteller gestellt hatte, den sie für Feiertage und andere besondere Gelegenheiten aufbewahrte. So wie sie früher die krakeligen Zeichnungen aufgehängt hatte, die Matthew und Mark aus der Schule mitbrachten, als sie noch klein waren, zeigte sie nun die Brote vor. Aber irgendwas war schief gegangen - vielleicht hatte Luke nicht genug Hefe verwendet oder er hatte den Teig zu viel oder zu wenig geknetet - und die Laiber waren zusammengefallen. Sie sahen schief und erbärmlich aus, wie sie da mitten auf dem Tisch standen.
Luke wünschte, die Mutter hätte sie einfach weggeworfen.
»Es ist doch jetzt kalt draußen. Niemand würde es auffallen, wenn ihr die Rouleaus runterlasst. Warum kann ich mich nicht zu euch an den Tisch setzen?«, fragte er.
»Ach, Luke...«, begann die Mutter.
»Jemand könnte deinen Schatten durch das Rouleau sehen«, sagte der Vater.
»Aber sie würden gar nicht wissen, dass es meiner ist«, meinte Luke.
»Aber es wären fünf. Vielleicht wird jemand misstrauisch«, erklärte die Mutter geduldig. »Es ist doch nur zu deinem eigenen Besten, Luke. Wie wäre es mit einer dicken Scheibe von deinem Brot? Es gibt auch kaltes Rindfleisch und Bohnen aus der Dose.«
Resigniert setzte sich Luke auf die Treppe.
Matthew erkundigte sich nach der Auktion, die der Vater besucht hatte.
»Ich bin den ganzen Weg umsonst gefahren«, sagte der verärgert. »Stundenlang hab ich gewartet, bis die Traktoren drankamen, und dann konnte ich nicht mal beim ersten Gebot mithalten.«
»Wenigstens bist du rechtzeitig zurückgekommen, um vor dem Dunkelwerden den hinteren Zaun zu reparie-ren«, meinte die Mutter beim Brotschneiden.
Und um mich anzubrüllen, dachte Luke verbittert. Was war nur mit ihm los? Nichts hatte sich verändert. Außer dass er vielleicht ein Gesicht gesehen hatte, das vielleicht jemandem wie ihm gehörte...
Plötzlich fiel Matthew und Mark das Brot auf, das die Mutter verteilte.
»Was ist denn damit los?«, fragte Mark.
»Es schmeckt bestimmt gut«, meinte die Mutter. »Es ist Lukes erster Backversuch.«
»Und mein letzter«, murmelte Luke so leise, dass ihn niemand hören konnte. Es hatte auch Vorteile, am anderen Ende eines Zimmers, weit weg von den anderen zu sitzen.
»Luke hat Brot gebacken?«, fragte Mark ungläubig. »Igitt.«
»Genau. Und in einen Laib habe ich ein Gift reingemischt, das nur Vierzehnjährigen schadet«, meinte Luke.
Er fasste sich wie ein Erstickender mit beiden Händen an die Kehle, ließ die Zunge aus dem Mund hängen und rollte den Kopf hin und her. »Wenn du nett zu mir bist, verrate ich dir, von welchem Laib du essen kannst.«
Das brachte Mark zum Schweigen, dafür erntete Luke ein Stirnrunzeln von seiner Mutter. Er hatte selbst ein merkwürdiges Gefühl bei diesem Witz. Natürlich würde er niemals jemanden vergiften, aber - würde er sich auch weiter verstecken müssen, wenn Matthew oder Mark etwas zustieß? Oder würde er der offizielle zweite Sohn werden, der in die Stadt, die Schule und überall sonst hingehen durfte, wo Matthew und Mark hingingen? Gab es für seine Eltern eine Möglichkeit, ein neues, bereits zwölfjähriges Kind zu erklären?
Das war nichts, was Luke sie fragen konnte. Schon der Gedanke daran machte ihm ein schlechtes Gewissen.
Mark machte ein großes Getue um den ersten Bissen Brot.
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Margaret Peterson Haddix - Schattenkinder
»Ich habe keine Angst vor dir«, spottete er und biss herzhaft hinein. Er schluckte schwer und tat, als müsse er würgen. »Wasser, Wasser - schnell!« Er leerte das halbe Glas und starrte zu Luke hinüber. »Schmeckt wirklich wie Gift.«
Luke probierte von seiner Scheibe. Sie schmeckte trocken, krümelig und fade, kein bisschen wie Mutters Brot.
Und alle wussten es. Selbst die Eltern machten beim Kauen gequälte Gesichter. Schließlich schob der Vater seine Scheibe beiseite.
»Mach dir nichts daraus, Luke«, sagte er. »Mir wäre es gar nicht so lieb, wenn einer meiner Söhne zu gut im Backen wird. Dafür heiratet ein Mann schließlich.«
Matthew und Mark brachen in schallendes Gelächter aus.
»Ist es bald so weit, Luke?«, stichelte Mark.
»Klar«, erwiderte Luke und versuchte so forsch wie nur
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