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Schattenkinder

Schattenkinder

Titel: Schattenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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er ihn wieder zurück.
    Er drehte sich um und sah zu seinem sicheren, schützenden Elternhaus zurück. Seine Zuflucht. In Gedanken hörte er die Stimme seiner Mutter: »Luke, komm sofort ins Haus!«
    Sie schien so wirklich zu sein. Er erinnerte sich an etwas, das er in einem der alten Bücher auf dem Dachboden über Telepathie gelesen hatte: Wenn Menschen einen wirklich liebten, dann konnten sie einen aus meilenweiter Entfernung anrufen, wenn man in ernsthafter Gefahr war, hieß es dort.
    Er sollte zurückgehen. Zu Hause war er in Sicherheit.
    Er holte tief Luft, sah nach vorn zum Haus der Sport-Familie und dann zurück zu seinem eigenen. Er dachte daran, umzukehren - die ausgetretene Treppe hinaufzutrotten, zurück in sein vertrautes Zimmer, zurück zu den Wänden, die er tagtäglich anstarrte. Und plötzlich hasste er sein Elternhaus. Es war keine Zuflucht. Es war ein Gefängnis.
    Ehe er weiter darüber nachdenken konnte, zwang er sich loszurennen, flitzte er bedenkenlos über das Gras.
    Er nahm sich nicht einmal die Zeit, sich hinter irgendwelchen Bäumen zu verstecken, sondern rannte geradewegs zur Tür der Sport-Familie und zog an der Fliegengittertür.
    Sie war verschlossen.
    – 29 –
    Margaret Peterson Haddix - Schattenkinder
    Kapitel 14
    Bei all seinen Plänen war Luke nie auf die Idee gekommen, dass die Fliegengittertür verschlossen sein könnte. Er wusste zwar, dass auch seine Eltern nachts die Tür abschlössen - wenn sie es nicht vergaßen -, aber für ihn hatten die Türen zu Hause immer offen gestanden. Und in die Nähe einer fremden Tür war er nie gekommen.
    Idiot, beschimpfte er sich selbst.
    Er zog fester an der Tür, aber er war zu verwirrt, um mit beiden Händen gleichzeitig zu arbeiten. Mit jeder Sekunde stellten sich die Haare in seinem Nacken ein wenig mehr auf. Er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie derart offen gezeigt.
    Beeil dich. Beeil dich. Sieh zu, dass du verschwindest...
    Die Tür gab nicht nach. Er musste umkehren. Sofort.
    Das sagte ihm sein Verstand. Seine Hand aber schlug durch das Fliegengitter. Er bog das Drahtgeflecht beiseite und griff durch den Türrahmen. Das scharfe Drahtgitter zerkratzte ihm den Handrücken und den Arm, aber er machte weiter. Er fingerte so lange am Schloss auf der Innenseite der Tür herum, bis er es klicken hörte.
    Leise schob er die Tür auf, glitt hinter die Jalousie und ins Haus der Sport-Familie.
    Auch wenn sämtliche Fenster dicht verhängt waren, wirkte der Raum, den er betrat, luftig und hell. Von den frisch gestrichenen Wänden über die spiegelblanken Glastische bis zu dem glänzenden Holzfußboden wirkte alles neu. Luke staunte. Zu Hause gab es fast alle Möbel schon so lange, wie er denken konnte, und wie immer ihre Muster und Formen einmal ausgesehen haben mochten, sie waren völlig abgenutzt. Selbst die ehemals orangefarbene Couch und die grünen Sessel hatten inzwischen ein fast identisches Braungrau angenommen. Dieses Zimmer hier aber war anders. Es erinnerte ihn an ein Wort, das er noch nie gehört, sondern immer nur gelesen hatte: »makellos«. Niemand war je mit Stiefeln voller Stallmist auf diese weißen Vorleger getreten. Niemand hatte sich je mit Jeans voller Getreidestaub auf die blassblauen Sofas gesetzt.
    Luke wäre wohl für immer staunend an der Tür stehen geblieben, hätte nicht in einem anderen Zimmer jemand gehustet. Dann hörte er ein merkwürdiges Pi-pi-pi-piiep. Auf Zehenspitzen schlich er weiter. Lieber selbst jemanden entdecken als entdeckt zu werden.
    Er ging einen langen Flur entlang. Das Piepen war zu einem lang gezogenen Brummen geworden und schien aus einem Raum am anderen Ende zu kommen.
    Mit angehaltenem Atem blieb Luke vor dem Zimmer stehen und nahm seinen ganzen Mut zusammen, um hineinzuspähen. Sein Herz klopfte wie wild. Noch konnte er sich ungesehen davonmachen, zurück nach Hause, auf seinen Dachboden, in sein normales, sicheres Leben. Aber er würde sich immer fragen...
    Langsam beugte sich Luke vor, schob sich Millimeter für Millimeter nach vorn, bis er gerade eben um die Tür herumsehen konnte.
    Im Zimmer befanden sich ein Stuhl, ein Schreibtisch und ein großer Apparat, von dem Luke vermutete, dass es ein Computer sein musste. Und vor dem Computer saß, heftig in die Tasten hauend, ein Mädchen.
    Luke blinzelte verblüfft. Irgendwie war er nie auf die Idee gekommen, das dritte Kind der Sport-Familie könnte ein Mädchen sein. Sie saß von ihm abgewandt, darum sah er nichts Genaues; jedenfalls

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