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Schattenkinder

Schattenkinder

Titel: Schattenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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verschwunden waren, wagte er es, sich durch die Küche zu schleichen und bei verhaltener Lautstärke das Radio einzuschalten. Es gab den Wetterbericht, Werbung für Sojabohnen und jede Menge Musik.
    »Macht schon, macht schon«, murmelte er, ohne das Seitenfenster aus den Augen zu lassen, aus Angst, sein Vater könnte unerwartet auftauchen.
    Endlich kündigte die Radiostimme die Nachrichten an. Irgendwo waren Rinder ausgebrochen und hatten einen kleinen Unfall verursacht. Es gab keine Verletzten. Ein Regierungssprecher prognostizierte wegen des vielen Regens eine schwierige Aussaat.
    Kein Wort über die Kundgebung.
    Der Vater kam zum Haus zurück. Luke drehte das Radio aus und hechtete zur Treppe.
    Beim Mittagessen vergaß der Vater das Radio anzumachen, so dass Luke ihn daran erinnern musste. Der Sprecher versprach eine spannende Geschichte gleich nach der Werbung. Da er sein Sandwich aufgegessen hatte, wollte der Vater das Radio wieder ausschalten.
    »Nein - warte noch!«, sagte Luke. »Das ist vielleicht interessant...«
    Der Vater brummte unwillig, aber er wartete.
    Der Sprecher meldete sich zurück. Nach einem Räuspern verkündete er, die neuesten Regierungsstatistiken bewiesen, dass die letzt jährige Luzerne-Ernte die höchsten Erträge in diesem Jahrzehnt eingebracht hatte.
    So ging es tagelang. Luke wartete verzweifelt auf irgendeine Neuigkeit. Aber bei den wenigen Gelegenheiten zum Radiohören erfuhr er nichts.
    Jedes Mal, wenn der Vater für einige Zeit das Haus verließ, knipste Luke das Licht am Hinterausgang an, sein altes Zeichen für Jen. Er starrte sich fast die Augen aus dem Kopf, so angestrengt sah er zu ihrem Haus hinüber und hoffte auf ihr Antwortsignal. Aber nichts rührte sich.
    Er fing an ihr Haus genauso unentwegt zu beobachten wie damals, als er Jens Existenz entdeckt hatte. Es gab nicht das leiseste Anzeichen von ihr. Die anderen in ihrer Familie kamen und gingen wie immer. Sahen sie trauriger aus als sonst? Glücklich? Besorgt? Zufrieden? Er konnte es aus der Ferne nicht erkennen.
    – 60 –
    Margaret Peterson Haddix - Schattenkinder
    Luke war so verzweifelt, dass er seine Mutter fragte, ob sie nicht vielleicht zu den neuen Nachbarn hinübergehen und sie in dieser Gegend willkommen heißen wolle. Sie sah ihn an, als habe er den Verstand verloren.
    »Sie wohnen doch schon seit Monaten hier. Das kann man wohl kaum noch neu nennen. Außerdem sind es Barone«, sagte sie und lachte mit unverhüllter Bitterkeit. »Sie wollen keinen Besuch von uns. Glaub mir.«
    Und was sollte sie dort schon ausrichten? Zu den Nachbarn sagen: »So, und jetzt erzählen Sie mir alles über das Kind, von dem Sie nie sprechen?«
    Nach einer Woche hatte Luke wirklich das Gefühl, verrückt zu werden. Er zuckte zusammen, sobald er angesprochen wurde. Mutter fragte so oft: »Ist alles in Ordnung mit dir?«, dass er anfing ihr aus dem Weg zu gehen. Aber er konnte nicht einfach auf seinem Dachboden hocken und abwarten. Er lief auf und ab. Er zappelte herum. Er kaute an den Fingernägeln.
    Er machte einen Plan.
    – 61 –
    Margaret Peterson Haddix - Schattenkinder
    Kapitel 26
    Endlich, endlich brach eineinhalb Wochen nach der Kundgebung ein Tag an, der so klar und trocken war, dass Luke sicher sein konnte, der Vater würde den ganzen Tag auf dem Feld verbringen. Ohne große Hoffnung schaltete er am Hinterausgang das Licht an. Nach fünf vergeblichen Minuten knipste er es wieder aus und schlüpfte leise aus der Tür.
    Die kühle Luft war wie ein Schock und er zögerte für einen kurzen Moment. Das hier war gefährlicher als je zuvor.
    »Ich muss es einfach wissen«, murmelte er entschlossen und schlich an der Scheune vorbei, ehe er zu Jens Haus hinüber sprintete.
    Er musste das Fliegengitter abreißen und einen Fensterrahmen der Talbots demolieren, was ihm leid tat. Aber das spielte keine Rolle. Wenn Jen da war, würde ihr eine Entschuldigung einfallen. Und wenn sie nicht da war
    ... wenn sie nicht da war, würde er nie wieder in dieses Haus zurückkehren.
    Drinnen musste er schnellstens etwas gegen die Alarmanlage unternehmen, das wusste er. Jen hatte es ihm einmal erklärt, sie hatte ihm die genaue Reihenfolge der Knöpfe beigebracht, die gedrückt werden mussten, um die Anlage auszuschalten. Er rannte zu dem Schrank im Flur, riss die Tür auf und drückte eilig auf die Knöpfe, aus Angst, er könnte die Reihenfolge vergessen, wenn er auch nur eine Sekunde zögerte. Grün-blau-gelb-grün-blau-orange-rot. Die Lichter

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