Schattenkrieg
Schlafs aus Alannas Umarmung befreite. Er legte einen Arm um Gaius; so schlief er ein.
Mehrmals schreckte er während der Nacht auf, wenn das Alphorn des Kastells blies. Immer lauschte er beunruhigt in die Dunkelheit hinein, wartete auf den Alarmruf; doch nachdem es jedes Mal ruhig blieb, musste das Signal wohl eines derjenigen sein, die regelmäßig die Kette an Kastellen und Wachtürmen entlangliefen und die nichts anderes bedeuteten als »Alles in Ordnung«. »Alles in Ordnung«, murmelte er dann und schlief weiter.
Als die Nacht schließlich vorbei war, fühlte er sich wie gerädert. Wie lange es wohl dauerte, bis man sich an dieses Getute die ganze Nacht hindurch gewöhnt hatte – oder ob man sich
überhaupt
daran gewöhnte? Er war als einer der Ersten auf den Beinenund beschloss, seine Männer noch ein paar Minuten liegen zu lassen. In den Latrinen erleichterte er sich, bevor der große Andrang kam, und wusch sich mit eisigem Schmelzwasser.
In der Halle herrschte noch Chaos. Die Männer waren gerade dabei, aufzuwachen und ihre Sachen zusammenzupacken. Deshalb entschied sich Baturix, zuerst auf den Turm zu klettern und die Umgebung in Augenschein zu nehmen.
Zwölf Meter höher wehte von Osten her eine eisige Brise. Baturix zog sich die Kapuze seines Fellumhangs über den Kopf. Magnus lehnte zwischen zwei Zinnen mit den Ellenbogen auf der Brüstung und sah nachdenklich nach Süden, wo der Wald bis an die beiden Seen heranreichte. Das Kastell sollte den Durchgang dazwischen bewachen – nicht vor Armeen, dafür war Lykkesella viel zu schwach, sondern vor marodierenden Banden und einzelnen Schatten. Über die Grenze waren von den Landhütern des Stammes Zauber gewoben, die zusätzlichen Schutz gewährten. Davon war jedoch nichts zu sehen, die Aussicht beherrschten der stahlgraue Himmel, reinweiße Schneefelder auf den zugefrorenen Seen und das dunkle Grün des Fichtenwaldes.
»Wir sitzen hier auf dem Präsentierteller«, meinte Magnus auf Norwegisch. Von seiner energischen Art vom Vorabend war nichts mehr zu spüren, stattdessen hatte sein Gesicht melancholische Züge angenommen. »Hast du gewusst, dass dies mehr oder weniger der einzige Ort der gesamten Grenze ist, an dem der Feind bis auf fünfhundert Meter ungesehen an uns herankommen kann? Stell dir vor, du bist ein Schatten mit einem starken Heer und willst unsere Siedlungen überfallen. Wo würdest du angreifen? Dort, wo die Berge steil und baumlos sind und du schon Stunden vor deiner Ankunft bemerkt wirst? Nein! Du würdest
hier
angreifen. Wenn es die Schatten darauf anlegen, fällt Lykkesella, bevor wir das Wort ›geordneter Rückzug‹ auch nur
aussprechen
können.«
»Warum holzt ihr nicht den Wald ab?«, fragte Baturix. »Wenn die Bäume fort sind, hat ein Angreifer an dieser Stelle dieselben Probleme wie anderswo.«
»Den Wald fällen? Ha! Die Druiden würden mir aufs Dach steigen! Hundertmal habe ich das Salerix schon vorgeschlagen … Weißt du, was er darauf antwortet? ›Wenn wir in der Innenwelt anfangen, den Wald abzuholzen, können wir gleich Fabriken bauen und den Verbrennungsmotor erfinden!‹ Abgesehen davon liegt dieser Wald höher, als er sein dürfte, und Salerix hält ihn für etwas Heiliges. Also sitzen wir hier schön weiter an der Front und warten darauf, dass einer dieser Schatten beschließt, sich ein paar neue Köpfe als Trophäen an die Wand zu hängen!«
»Wie wär’s mit Spähern im Wald?«
»Einzelne Späher? Und wie schütze ich die? Diese verdammten Teufel würde nichts mehr freuen, als wenn wir einzelne Männer da reinschicken würden. Außerdem – was würde es bringen, wenn sie etwas entdecken?«
»Sie könnten euch hier rechtzeitig warnen, wenn ein Heer aufmarschiert!«
»Wenn hier ein Heer aufmarschiert, dann rückt als Erstes die Vorhut an. Nehmen wir einmal an, meine Späher überleben so lange, um ihr Horn zu blasen und uns zu warnen – was haben sie dann gesehen? Eine Handvoll Kundschafter wahrscheinlich. Und? Wie könnten wir diese Krieger von einfachen Spionen unterscheiden, die gekommen sind, uns hier zu beobachten? Du musst dir über eins im Klaren sein: Wir
stehen
hier unter Beobachtung, jeden Tag, jede Stunde. Die da unten wissen
genau
, was wir hier treiben, wann wir es tun, und vermutlich sogar, wie wir es tun. Wahrscheinlich führen sie sogar Strichlisten, wie oft die Jungs in den Türmen scheißen müssen!«
»Die Zauber werden uns vor ihnen schützen.«
Mit zusammengekniffenen Augen sah
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