Schattenkrieg
Schild beizubringen. Nachts schlug er sich zwei Stunden Wachdienst um die Ohren.
Auf dem Marsch nach Tyinsholmia hatte er auch Markus wiedergesehen. Sein Ältester war im letzten halben Jahr noch einmal ein gutes Stück gewachsen und war jetzt beinahe so groß wie er selbst, was den Jungen mächtig stolz machte. Während Gaius ihm alles erzählte, was sich zu Hause ereignet hatte, hatte Baturix die Gelegenheit genutzt, einen Blick in den Turm zu werfen, wo sein Sohn so lange eingepfercht war. Es war eine abenteuerliche Konstruktion: Komplett aus Stein gebaut, war der Turm wohl ungefähr zehn Meter hoch, nur zweieinhalb Meter im Innendurchmesser und völlig rund. Anstelle einer Treppe, die in einem so schmalen Schacht gar keinen Platz gefunden hätte, gab es eine lange Klappleiter, die durch eine Luke im Schlafraum im Inneren des Turms heruntergelassen werden konnte. Der fensterlose Raum selbst war winzig klein, stockfinster und stickig. Ein Erker mit Loch sorgte dafür, dass die Wächter ihren Turm selbst für die grundlegendsten Bedürfnisse nicht verlassen mussten. Eine weitere Luke führte in den Hornraum, in dem das Alphorn und die Vorräte ruhten. Dieser Raum besaß in alle Richtungen Schießscharten. Eine weitere Luke nach oben führte schließlich auf das Dach des Turmes, wo einer der vier Turmmänner verblieben war, um Wache zu halten.
Baturix musste anerkennend nicken, wenn er an die Konstruktion zurückdachte. Natürlich konnten vier Mann nicht darauf hoffen, einen Angriff zu überleben, doch solange die Leiter oben war, würde es sogar einem Schatten schwerfallen, dort einzudringen. Und ein Angreifer, der bereits entdeckt war, würde sinnvollerweise so schnell wie möglich weiterziehen, anstatt wertvolle Zeit mit dem Angriff auf einen solchen Turm zu vergeuden.
Baturix beneidete die jungen Turmmänner jedenfalls nicht. Wenn es auch schwierig war, einen Wachturm einzunehmen, sowar es nicht unmöglich, wie ihm das Gespräch mit Magnus Lykkesella vor Augen geführt hatte. Außerdem hatte Markus davon erzählt, wie die Türme im Wind schwankten und wie kalt es auf ihnen wurde. Außerdem war es so furchtbar eng, dass Baturix vermutete, dass viele Turmbesatzungen von Zeit zu Zeit die Leiter zu Boden ließen und sich vor dem Turm die Beine vertraten. Wenn sich dann ein wie auch immer getarnter Schatten in der Nähe aufhielt …
Und nun stand Baturix selbst auf einem Turm – wenngleich es kein Wachturm in der Wildnis, sondern ein von einer Palisade umgebener Kastellturm war – und starrte in die Finsternis. Er sehnte sich nach einem warmen Lager, den Armen seiner Frau! Doch dies war der Ort, an den Cintorix ihn befohlen hatte. Also würde er Wache halten und auf den Tag warten, an dem er mit Markus an seiner Seite nach Hause ritt, nach dem Sieg gegen die Schatten von Bergen. Wie sehr würde sich Alanna freuen, wenn –
»Vater? Hast du das gesehen?«, flüsterte Gaius plötzlich.
»Nein!« Baturix war sofort alarmiert. »Wo? Was?«
»Es war weit weg, ich glaube, noch jenseits des Sees. Ich bin nicht sicher … es war wie ein Blitz, nur viel dunkler …«
Baturix starrte angespannt in die Richtung. Doch je mehr er den Blick auf einen bestimmten Punkt fixierte, desto mehr verschwamm dieser in der Dunkelheit. Schließlich schüttelte den Kopf. »Erzähl mir genau, wo du es gesehen hast und wie es ausgesehen hat.«
»Ich glaube, es war an der Stelle zwischen dem Fjord und dem See … ein kurzes Leuchten, nicht besonders –«
Der Ton eines Alphorns erklang, so tief im Bass, dass Baturix glaubte, die einzelnen Schwingungen spüren zu können.
Buuuurrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr.
Ein langgezogener Ton, erst unterbrochen von der Atempause des Bläsers. Gaius starrte ihn erschrocken an.
Buuuurrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr.
Lang. Ganz tief. Die Bedeutung dieses Signals kannte jeder Helvetier,gleich, ob er schon einmal an der Grenze gewesen war oder nicht. Lang – tief bedeutete
Nain
.
»Beeil dich!«, rief Baturix, doch unnötig. Gaius war schon an der Luke und kletterte hastig in den Hornraum.
Buuuurrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr
, klang es von unten. Baturix war ein bisschen stolz darauf, dass sein Sohn bei diesem so wichtigen Signal den Ton sofort traf.
Die Hunde im Dorf und in den Zwingern des Kastells schlugen an. Schnell wurden Stimmen laut. Unter ihm breitete sich Licht aus, als fackeltragende Männer im Hof und auf der
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