Schattenkrieg
Baturix ihn schon mehrmals für eingeschlafen gehalten hatte – doch wenn er ihn angesprochen hatte, hatte Gaius jedes Mal mit wacher und aufmerksamer Stimme geantwortet. Baturix war mächtig stolz auf seinen Sohn.
Dabei war es wirklich nicht einfach, hier die Augen offen zu halten, denn zum
Sehen
war es sowieso viel zu dunkel. Im Grundekonnte eine ganze
Armee
aus Schatten und Fomorern unter ihnen hindurch marschieren, und hier oben würden sie trotzdem nichts als Schwärze zu sehen bekommen. Es war so verführerisch, dem inneren Schweinehund nachzugeben und die Augen für ein paar Minuten zu schließen … und schon war man eingeschlafen! Baturix schüttelte den Kopf, um die Müdigkeit zu vertreiben.
Das wäre ja noch das Beste, hier einzuschlafen und mich dann von meinem minderjährigen Sohn wecken zu lassen …
Eine halbe Woche war es nun her, dass Baturix mit seinen Männern das Kastell Tyinsholmia erreicht hatte und feststellen musste, dass Salerix, den sie den Dreiturm nannten, erneut weitergereist war.
Der Grund
dafür
war kompliziert: Waldläufer hatten dem Anführer der Westwacht, einem Druide namens Orgetorix, berichtet, dass sie im Niemandsland hinter einer größeren Menge Nain her waren. Orgetorix hatte daraufhin beschlossen, sie zu unterstützen, und hatte deshalb nicht nur die Garnisonen seiner eigenen Kastelle, sondern auch die des Kastells Ordalum mitgenommen. Ordalum gehörte jedoch zu Salerix’ Südwacht, und so war der Dreiturm plötzlich damit konfrontiert gewesen, ein leerstehendes Kastell schützen zu müssen. Deshalb hatte er die Hälfte der Besatzung von Tyinsholmia genommen und war nach Westen gezogen. Und so hatte auch Baturix folgen müssen.
Salerix war sehr über die Ankunft von Baturix und seinen dreißig Mann erleichtert gewesen. Zwar waren sie schlecht ausgebildet und größtenteils noch halbe Kinder, doch sie konnten einen Speer halten und damit zustoßen, worauf es letztendlich ankam, wenn das Kastell verteidigt werden musste. Und das befürchtete der Dreiturm. Seit der Bote von den Nain und Orgetorix’ Aufbruch berichtet hatte, gab es keine neuen Nachrichten mehr. Niemand wusste, was im Westen geschehen war. Salerix rechnete mit dem Schlimmsten, weshalb er die Neuankömmlinge gut gebrauchen konnte. Alles in allem waren sie nun fünfundsiebzig Mann, die reguläre Garnison sowie die beiden Bauernsippen aus dem Weiler mit eingerechnet.
Ob fünfundsiebzig Mann allerdings ausreichten, die Palisaden zu halten, wenn die Schatten ihre Streitkräfte dagegenwarfen, wagte niemand zu fragen. Die Moral der Besatzung war jedenfalls auf einen Tiefpunkt gesunken – jeder hatte für sich die Chancen ausgerechnet, und kaum jemand schien glücklich mit dem Ergebnis.
So kam es, dass sich der Dreiturm im Moment kaum für Baturix’
Nachricht
interessiert hatte – der bevorstehende Krieg, weswegen Cintorix die Männer geschickt hatte, war weit weniger dringend als ein feindliches Heer unbekannter Stärke direkt vor der Haustür.
Huuummmmm
. Das ferne Tuten eines Alphorns schreckte Baturix aus seinen Gedanken. Kurz darauf folgte ein zweiter Ton.
Huuuuuuuuuuuuuuummmmmmm.
Kurz – lang.
Alles in Ordnung
.
»Soll ich, Vater?«, fragte Gaius leise. Baturix nickte.
Er rechnete nicht damit, allzu lange Grenzdienst zu verrichten, und glaubte kaum, dass es sich für diese Zeit lohnte, die schwierige Technik des Alphornblasens zu erlernen. Sein Sohn dagegen würde für längere Zeit hierbleiben. Kurz nachdem Gaius die Leiter nach unten geklettert war, hörte Baturix die ersten quietschenden Geräusche, als der Junge versuchte, dem Horn einen Ton zu entlocken.
Er lächelte. Normalerweise wäre so etwas ein Alarmzeichen für die umliegenden Türme. Doch inzwischen wussten ihre Besatzungen, dass in Ordalum neue Männer dienten.
Neue Männer, neue Töne
, so ging ein Sprichwort unter den Grenzmännern. Schließlich gelang es Gaius, den Ton zu treffen und zu halten.
Huuummmmm — Huuuuuuuuuuuuuuummmmmmm.
Baturix lauschte in die Finsternis. Die Antwort des nächsten Turms im Westen ließ nicht lange auf sich warten. Kurz – lang. »Alles in Ordnung«, flüsterte er leise, als Gaius aus der Luke kletterte. »Gut gemacht!«
Jedenfalls hatte ihm Salerix befohlen, zumindest vorerst hierzubleiben,und Baturix machte sich so nützlich wie er konnte. Als Hauptmänner des Fürsten hatte er eine gute Waffenausbildung genossen, so dass er tagsüber damit beschäftigt war, den Jungen den Umgang mit Schwert und
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