Schattenkrieg
Vielleicht sollten Sie mir endlich sagen, Fatima, was denn nun eigentlich los ist! Ich dachte, wir wären Freunde!«
»Ja«, schnaubte Fatima. »Das dachte ich auch. Ich dachte, ich habe in Ihnen jemanden gefunden, mit dem ich reden kann, ohne auf meinen Sonderstatus als weibliche Gelehrte und Achtungsperson aufpassen zu müssen!
Ich
dachte, ich kann Ihnen vertrauen!« Sie sprang auf und begann zu schreien. »Ich habe Sie für etwas Besseres gehalten! Ich dachte, diese Frau, diese Offizierin hat das Zeug dazu, hier etwas zu verändern! Es besser zu machen als die Soldaten davor! Oh, Veronika, ich habe mich ja so in Ihnen getäuscht! Verstehen Sie das nicht?«
Fassungslos schüttelte sie den Kopf. Was konnte sie nur angestellthaben, um ihr Fatima derartig zu entfremden? Hilflos sah sie zu ihr.
»Nein, vielleicht verstehen Sie es wirklich nicht«, beantwortete Fatima mit sarkastisch-verwundertem Ton ihre eigene Frage. »Vielleicht verstehen Sie nicht, dass ich mich mit den Menschen, die hier leben, verbunden fühle. Dies ist mein Dorf, dies ist mein Leben, und wenn Sie glauben, dass mir gleichgültig ist, was Sie der Bevölkerung antun –
meinen Nachbarn, verstehen Sie?
–, dann tut es mir leid, dann habe ich mich leider völlig in Ihnen getäuscht. Bitte gehen Sie jetzt!«
»Aber was habe ich denn getan?« Veronika sprang auf.
Fatima schwieg für eine Weile. Veronika fragte sich schon, ob Fatima schweigen würde, bis sie verschwunden war.
Dann spürte sie auf einmal die Angst wieder, die sie vor ihrer Ankunft schon einmal kurz empfunden hatte. Zuvor hatte sie es auf die bevorstehende Konfrontation geschoben … Jetzt wurde ihr plötzlich klar, dass sie sich getäuscht hatte.
Eine Gefahr drohte. Eine echte, reelle Gefahr, vor der sie ihr Gefahrensinn zu warnen versuchte. Sie spürte das Kribbeln im Körper, als sich das Adrenalin ausbreitete. Ihr Herz schlug plötzlich schneller. Aber sie musste die Antwort auf diese Frage wissen! Hier stand mehr dahinter als eine bloße Freundschaft zwischen zwei Außenseitern.
Schließlich, gerade als das Gefühl der Gefahr unerträglich zu werden drohte, antwortete Fatima doch. Sie sah sie mit durchdringendem Blick in die Augen und zischte: »Während
ich
Ihnen geholfen habe, das Leben dieses Jungen zu retten, haben
Ihre
Soldaten vier Männer aus meinem Dorf verprügelt, eine Frau vergewaltigt und in mindestens zehn Häusern Schutzgeld erpresst! So wie es die
Deutsche Bundeswehr
«, und diese beiden Worte kamen aus ihrem Mund wie schmutzige Beleidigungen, »schon seit
Jahren
hier tut! Es hat aufgehört, als Sie hier aufgetaucht sind, und ich dachte schon, dass das Ihr Verdienst war, aber das war wohl ein Irrtum!«
Veronika glaubte, sich verhört zu haben. Was soeben gesagtworden war, konnte nicht wahr sein.
Durfte
nicht war sein. Für einen Moment spürte sie, wie sie den Boden unter den Füßen verlor, und sank auf einen Stuhl.
»Das wusste ich nicht …«, stammelte sie.
Fatimas Antwort ging unter im Krachen einer Sturmgewehrsalve, ganz nahe – Kalaschnikow, AK-47, sie würde den hässlichen Mündungsknall ihr Leben lang nicht mehr vergessen. Instinktiv warf sie sich auf den Boden in Deckung, kam aber sogleich wieder hoch, als sie merkte, dass die Schüsse nicht ihr gegolten hatten. Hastig rannte sie die Treppe nach unten. Durch ein Fenster im Klassenzimmer sah sie Wassermann in Deckung hinter dem Wolf liegen. Sein Helm war ihm vom Kopf gerutscht und lag zwei Meter daneben im Straßendreck. Von seinem Gewehr sah sie keine Spur. Sie lief zum Fenster und sah sich um.
Auf der Straße war ein Mob von mindestens fünfzehn Männern. Die meisten waren verhüllt mit Tüchern oder Wollmasken, alle waren bewaffnet. Sie kamen langsam die Straße entlang. Wassermann saß hinter dem Fahrzeug in der Falle!
Er hatte sie bemerkt. Angst stand in seinen Augen, panische Angst, doch er winkte sie davon. Veronika schüttelte den Kopf, doch seine Bewegungen wurden nur noch energischer.
Noch einmal krachten Gewehrschüsse. Der Gefreite zog den Kopf ein, als um ihn herum Dreckfontänen in die Luft stoben. Dann hob er langsam die Arme über seinen Kopf. Veronika blickte hastig in die andere Richtung. Verzweiflung befiel sie, als sie auch dort Bewaffnete auf der Straße sah.
»Sie müssen verschwinden! Ich zeige Ihnen den Hinterausgang!«, flüsterte Fatima, die ihr gefolgt war.
»Ich kann Wassermann hier nicht im Stich lassen! Ist Marwan in Sicherheit?«
»Er ist in Sicherheit.
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