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Schattenkrieg

Schattenkrieg

Titel: Schattenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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eine Hand auf der Schulter. »Ich werde zurück nach draußen gehen«, flüsterte Divico. »Ich befürchte, dass die Schatten versuchen könnten, während der Nacht über unsere Mauern zu kommen. Ich möchte noch einmal mit den Männern reden. Falls Vertiscus etwas braucht, kannst du mich auf der Mauer oder oben auf dem Turm finden.«
    Baturix nickte und antwortete: »Jawohl, Herr.« Er hatte inzwischen erkannt, dass es sich bei Divico um Orgetorix’ Nachfolger handeln musste.
    Als der Mann die Wendeltreppe nach unten verschwunden war, schloss Baturix die Tür von innen. Dann stellte er sich daneben auf und hörte Vertiscus und Orgetorix zu.
    »Es gibt ein Heiligtum ganz in der Nähe«, begann Orgetorix, der sich inzwischen in eine sitzende Position gebracht hatte, »bewacht von einem uralten Wächtergeist der Germanen. Er war uns Helvetiern nicht böse gesonnen und ließ uns passieren, wenn wir ihn freundlich genug darum baten. Das Heiligtum ist einer der Eckpunkte der Patrouillen, die von Elveseter aus die nächste Umgebung des Niemandslandes passieren. Die letzte Patrouille – fünf Männer, zwei davon erfahrene Grenzwachen – ist von dort nicht mehr zurückgekehrt, also bin ich selbst mit einem Trupp los. Bei meiner Ankunft war das Heiligtum entweiht und völlig verwüstet. Von dem Geist war nichts mehr zu erfühlen. Keine Aura. Nichts. Dafür haben wir etwas anderes gefunden …« Seine Stimme schweifte ab, während er Baturix sorgfältig musterte. »Vertraust du ihm?«, fragte er Vertiscus, ohne einen Blick von ihm zu nehmen.
    Vertiscus zuckte mit der Schulter. »Mein Vater vertraut ihm.«
    Orgetorix schwieg eine lange Zeit. Als er weitersprach, war seine Stimme sehr leise. »Wir haben ein Mädchen gefunden. Gefoltert und vergewaltigt, allen Anschein nach über Tage hinweg. Ich habe sie anfangs für tot gehalten, aber sie war noch am Leben. Als wir heran waren, begann sie zu schreien. Sie hatte uns nicht gesehen,
konnte
uns gar nicht sehen ohne Augen, aber sie muss gespürt haben, dass jemand da war. Wahrscheinlich vermutete sie, dass ihre Peiniger zurückgekehrt waren. Sie war noch ein Kind, bestimmt nicht älter als zehn oder elf. Sie war an einen Pfahl gefesselt, ihre Augen ausgestochen, die Ohren abgerissen, ohne Haut und ohne Zähne, kaum mehr als ein blutiger Klumpen Fleisch. Ihr Schreien klang ganz und gar unmenschlich.« Seine Stimme begann zu zittern. »Neben ihr hatten sie Speere in die Erde gesteckt, auf die sie die Köpfe meiner Kundschafter gesteckt haben …« Er schluchzte auf.
    Baturix schluckte schwer. Wie entsetzlich musste der Anblick gewesen sein, wenn ein so wackerer Druide wie Orgetorix um seine Fassung kämpfen musste? Er dachte an seine Aleksandra, die nicht viel jünger war als jenes Mädchen, und fühlte plötzlich einen unbändigen Hass auf die verfluchten Schatten! Auch Vertiscus war blass geworden. Schweigend schabte er sich mit seiner Hand über den Dreitagebart an seinem Kinn. Gemeinsam warteten sie darauf, dass sich der Druide wieder beruhigte.
    »Der Pfahl«, fuhr Orgetorix schließlich fort, »war übersät mit Schnitzereien, mit Grimassen und Fratzen und haufenweise Klauenzeichen … Schattenmagie, zweifellos …«
    Vertiscus nickte nachdenklich. »Und das Kind?«
    Orgetorix schluckte mehrmals. Im flackernden Licht der Fackel fingen seine Augen an zu glänzen.
    »Was ist mit ihr? Ist sie tot?«
    Der Druide schüttelte den Kopf.
    »Sie hat
überlebt

    »Nein. Ja. Vielleicht …« Orgetorix räusperte sich. »Sie haben uns angegriffen, als wir sie gerade losschneiden wollten. Sie könntenoch immer dort an dem Pfahl hängen, nach allem, was ich weiß …«
    Baturix spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Die Vorstellung bis jetzt war schon schlimm genug. Der Gedanke daran, dass sie sich
immer noch
in den Klauen ihrer Folterer befand, war nahezu unerträglich.
    »Und die Angreifer?«, fragte Vertiscus.
    »Da gibt es nicht viel zu erzählen«, seufzte Orgetorix. »Ich habe keinen von ihnen zu Gesicht bekommen, aber ich schätze, dass sie zu viert waren. Vielleicht auch nur zu dritt.« Die Erleichterung, nicht mehr über das Mädchen sprechen zu müssen, war ihm deutlich anzumerken. »Einer meiner Männer hatte plötzlich ein komisches Gefühl, wie er sagte. Er hat uns alle damit angesteckt, und dann war plötzlich die Furcht da. Zuerst die Furcht und dann die Pfeile. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand
so
gut schießen kann! Sie haben aus mindestens hundert Schritten oder

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