Schattenkrieg
verschwunden war. Die Nachricht wurde offenbar von den schottischen Druiden für glaubwürdig genug gehalten, um sich für einen Feldzug gegen die Stadt zu rüsten. War der Dämon vor ihrer Küste etwa das Monster aus Loch Ness? Er war froh, diese Information erst jetzt erhalten zu haben. Hätte er damals gewusst, dass er Nessy selbst gegenübergestanden hatte, hätte ihn die Angst vermutlich gelähmt …
»Ronan«, rief Seogs Stimme und schreckte ihn aus seinen Gedanken. »Die Männer sind nun versammelt!«
Ronan blickte zu dem Krieger-Druiden auf, der den Weg entlangkam.Seog trug über dem Kettenhemd einen zweiten Panzer, eine dunkelbraune Rüstung aus Schweinsleder, mit Arm- und Beinschienen aus dem gleichen Material. Schild und Axt hatte er auf den Rücken geschnallt, das Kurzschwert hing an seiner Seite. Nie zuvor hatte der Mann mit seinem wallenden blonden Schnauzbart und dem kahlrasierten Schädel mehr nach einem Wikinger ausgesehen.
Seog nickte kurz Ronans Familie zu, die sich vor seiner Halle versammelt hatte. »Die Armee ist abmarschbereit. Wir warten nur noch auf Euren Befehl.«
»Gut, ich komme gleich.«
»Jawohl, Herr.« Seog nickte noch einmal und wandte sich zum Gehen. Nachdenklich sah ihm Ronan hinterher, bis der Mann schließlich hinter einem der Häuser verschwunden war.
So war der Moment, den Ronan im Geiste immer wieder aufgeschoben hatte, nun endlich gekommen – und er erwischte ihn mit heruntergelassenen Hosen. Er hätte sich den ganzen Winter über darauf vorbereiten können, aber irgendwie … Ronan schüttelte den Kopf. Die stürmische See, der wolkenverhangene Himmel …
das
waren die Schlachten, die er schlagen wollte, er und sein Fischkutter, mit Alar und seinem Sohn … und nicht ein ferner Krieg gegen boshafte Schatten und gewalttätige Fomorer. Doch die Zeit des Friedens war vorbei. Alar war krank und wahrscheinlich tot, bevor der Feldzug beendet war, Ergad bald erwachsen genug, um zu heiraten und seine eigene Sippe zu gründen. Wenn – oder besser
falls
– Ronan aus dem Krieg zurückkehrte, würde ihn Nerin wahrscheinlich zum Häuptling machen. Nichts würde so sein, wie es gewesen war.
Ronan seufzte und legte die Pfeife neben sich auf die Bank. Er sah in die Runde. Seine gesamte Sippschaft hatte sich versammelt, um ihn zu verabschieden – seine beiden unverheiratet gebliebenen Schwestern, seine kleinen Töchter, seine Frau Maela … Nur Ergad fehlte, sein einziger Sohn. Er war noch immer bei Riagad, einem von Ronans Schwagern. Er hatte es nicht übers Herz gebracht, ihnherzuholen und ihm ins Gesicht zu sagen, dass er ihn nicht mitnehmen würde.
Er seufzte noch einmal und richtete sich auf. Es war Zeit, das Abschiedsritual hinter sich zu bringen …
»Pass auf dich auf, Ronan!«, sagte seine Schwester Aziliz und nahm ihn in den Arm. »Mögen die Götter dich beschützen!«
Als Ronan antworten wollte, bekam er keinen Ton von den Lippen. Er
hasste
Abschiede. Seine Befangenheit in solchen Situationen war nur
ein
Grund dafür.
Aziliz reichte ihn weiter zu Youanna, die ihn ebenfalls in ihre Arme zog. »Dagda möge dich verschonen, mein Bruder«, flüsterte sie. »Die Morrigan schenke dir ihre Gunst!«
»Danke«, erwiderte er rau.
Er beugte sich zu den Mädchen hinunter, nahm sie in den Arm. »Auf Wiedersehen! Tedvil, pass gut auf deine Schwestern auf. Lynet, Nealét, seid schön brav und tut, was euch gesagt wird! Wenn ich zurückkomme, möchte ich hören, dass ich stolz auf euch sein kann!« Er gab jeder von ihnen einen Kuss auf die Stirn.
»Wie lange wirst du fort sein?«, fragte Nealét. Ihre Stimme klang, als ob sie jeden Moment in Tränen ausbrechen würde.
Mögen die Götter geben, dass sie sich beherrschen kann!
stieß Ronan ein kurzes Gebet aus. Wenn hier jemand zu weinen begann, würde er sich selbst kaum noch zurückhalten können. Er spürte die Tränen in seinen Augen schon jetzt. »Nicht lange, mein Schatz!«, log er mit schlechtem Gewissen. »In zwei Mondläufen werde ichwieder zu Hause sein!«
O Ihr Götter, könnte dies doch nur wahr sein …
»Wir werden auf dich warten, Papa!«, piepste Lynet.
Ronan musste lächeln. »Ich werde euch nicht enttäuschen!«, flüsterte er und hoffte, wenigstens dieses Versprechen erfüllen zu können. Er nahm sie noch einmal in den Arm, wandte sich dann ab.
Maela war die Letzte, von der er sich noch nicht verabschiedet hatte. Sie standen sich gegenüber, sahen sich in die Augen; nichts wünschte sich Ronan in diesem
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