Schattenkrieg
Schlacht am schlimmsten getobt hatte; dorthin, wo Brynndrech gekämpft hatte. Sie flüsterte: »Elaine hat es auch geschafft …«
Mühsam versuchte sie, so etwas wie Entschlossenheit in ihre Miene zu bringen. Dann wandte sie sich zu den fünfundzwanzig Männern und Frauen, die man ihr zugewiesen hatte. »Machen wir uns an die Arbeit.«
Das Schlachtfeld war grauenvoll. Nein, schlimmer: Es war die Hölle.
Es begann mit dem Geschrei, das jetzt, wo der Großteil des Schlachtenlärms verstummt war, plötzlich übermächtig laut erschien. Es war ein Geschrei aus Hunderten, wenn nicht Tausenden von Kehlen, die in Dutzend verschiedenen Sprachen (die Keelin dank des Knochenzaubers alle verstand) ihre Pein herausbrüllten. Sie schrien zu ihren Göttern, beteten und fluchten, bettelten um Hilfe oder um die Gnade des Todesstoßes. Am meisten aber schrien sie nach ihren Müttern, die Fomorer genauso wie die Kelten, und das war, was Keelin am meisten zusetzte. Jeder Mensch lernte,welch großes Tabu es war, im erwachsenen Alter nach der Mutter zu rufen … Wie groß musste die Angst sein, wie schlimm der Schmerz, dass sie sich nun so hemmungslos darüber hinwegsetzten?
Als Nächstes kam der Gestank. Keelin hatte nicht damit gerechnet, dass das Schlachtfeld so stinken würde. Doch was hatte sie erwartet? Angst und Panik hatten den Kriegern Blasen, Därme und Mägen gelockert; viele der Körper waren so zerschmettert, dass ihre Säfte andere Wege nach draußen gefunden hatten. Sie war froh, dass sie durch ihre Arbeit im Krankenhaus einiges gewohnt war, sonst hätte sie wahrscheinlich an Ort und Stelle kotzen müssen.
Schließlich war sie nahe genug, um zu sehen, was sie sich so nicht in ihren schlimmsten Träumen ausgemalt hätte. Männer lagen in allen denkbaren Positionen im Dreck des zertrampelten Feldes. Klingen hatten Körper aufgeschlitzt, Gesichter zerschnitten, Gliedmaßen abgetrennt; Rüstungen und Knochen waren zerbeult, gebrochen und zerborsten unter den Hieben von Keulen und Streitkolben; Bäuche waren aufgeplatzt, wo sie unter Pferdehufe geraten waren. Keelins Blick fiel auf Eingeweide und Knochensplitter, und überall war Blut. Blut hatte den Boden aufgeweicht, Blut hatte die grünen Wämser der Kelten schwarz verfärbt. Keelin war nicht die Einzige, die der Anblick auf die Knie zwang und sie sich würgen ließ.
Aber sie hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Als ihr Magen leer war, als sie nichts mehr spucken konnte außer bitterer Galle, richtete sie wieder auf und ging weiter, gefolgt von ihren Leuten oder zumindest denjenigen, die die Kraft noch nicht verlassen hatte.
Der erste Lebende, den sie fand, war ein dunkelhäutiger Fomorer. Er saß aufrecht, hatte sich an ein totes Pferd gelehnt, das wohl beim Sturmangriff des Kriegsherrn getroffen worden war. Ein Pfeil steckte in seinem Bauch, aber er lebte, und er war wach.
»Helft mir, bitte«, stammelte er auf Französisch.
Keelin sah ihn traurig an. Eine Bauchwunde bedeutete einenhohen Blutverlust und eine sichere Entzündung. Die Chancen des Fomorers sahen düster aus. Damit war sein Schicksal besiegelt.
Sie stellte den Rucksack ab und ging neben ihm in die Knie. Als sie nach seinem Handgelenk griff, um nach seinem Puls zu fühlen, stellte sie fest, wie heiß sein Körper bereits war. Sein Herz raste. Seine Lippen waren bläulich blass verfärbt, und Schweiß stand auf seiner Stirn.
Sie schluckte. Der Mann hatte Fieber, vielleicht sogar noch einen Schock dazu. Ohne Hilfe, aufopferungsvolle Pflege, Tinkturen und viel, viel Glück würde er den nächsten Sonnenaufgang nicht mehr erleben. Die Heiler waren viel zu wenige, um einem Todgeweihten solche Mühen zu widmen.
»Es tut mir leid«, murmelte sie, spürte bereits die Tränen in den Augen. »Es tut mir leid.« Sie zog den Dolch aus der Scheide.
»Nein!« Die Augen des Fomorers weiteten sich vor Entsetzen. Sein Körper spannte sich an, er presste sich enger an das Pferd im Versuch, sich so weit wie möglich von ihr zu entfernen. »Bitte!«
Keelin spürte die Augen ihrer Gefolgsleute im Rücken, spürte die Abscheu, die sie empfanden ebenso wie die Erleichterung, es nicht selbst tun zu müssen. »Es tut mir leid«, flüsterte sie noch einmal. Eine Träne glitt ihre Wange hinab. Sie legte dem Mann eine Hand auf die Brust, tastete durch sein Wams hindurch nach den Rippen, setzte den Dolch an … ignorierte den panischen Schrei des Fomorers ebenso wie die schweißnasse Hand, mit der er versuchte, ihre eigene
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