Schattenkrieg
den sollen Sie übernehmen?«
»Sieht ganz so aus … Wissen Sie was Genaueres darüber? Die in Sarajevo haben mir noch nicht einmal sagen können, ob es Serben oder Albaner gewesen sind.«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. Nach einer Pause fuhr er fort: »Nicht besonders toll, einen Posten zu übernehmen, auf dem der Vorgänger gestorben ist, was, Frau Leutnant?«
»Nein, nicht wirklich.« Schweigend fuhren sie weiter, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Schließlich meinte Veronika: »Bei meiner alten Truppe hätte ich noch zwei Monate gehabt.«
Müller sah zu ihr herüber. »Und warum sind Sie nicht geblieben?«
Veronika zuckte mit den Schultern. »Wegen dem Geld … Von den Leuten meines Abschlussjahrganges an der Schule sitzt die Hälfte ohne Arbeit auf der Straße. Von dem Übergangsgehalt kann man ja nicht leben!«
»Ich habe erst vor einem halben Jahr verlängert«, gestand Müller. »Jedes Mal, wenn sie auf den Konvoi schießen, könnte ich mich dafür ohrfeigen!«
»Aber?«
»Aber was? Ach so, warum ich es gemacht habe?«
Veronika nickte.
»Auch wegen dem Geld. Aber ob es das wert ist? Ich glaube, dass die Situation im Kosovo noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hat. Das wird noch schlimmer werden, und dann wäre ich lieber in Deutschland und würde mir in der Zeitung die Lügen durchlesen, wie ruhig und friedlich es doch hier unten ist.«
»Wer würde das nicht?« In den Nachrichten in Deutschland wurde kaum darüber gesprochen, wie viele Bundeswehrsoldaten bei SFOR und KFOR fielen. Veronika vermutete eine Zensur von ganz oben. Zu Hause glaubte man noch, dass sich die Situation im ehemaligen Jugoslawien seit zwei Jahren beruhigt hatte. Dass die Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen jedoch wieder gewachsen waren und nun kurz vor dem Überkochen standen, wusste in Deutschland niemand, ebenso wenig, dass die Friedenstruppen nicht einmal mehr wagten, die blauen Helme der UN zu tragen. Das Leben im Kosovo war gefährlich genug – man brauchte nicht auch noch mit einer Zielscheibe auf dem Kopf herumzulaufen.
Veronika bemerkte, dass der Konvoi noch langsamer wurde. Über Funk gab das Führungsfahrzeug eine Warnung durch. Der Obergefreite zog seine Pistole. Nachdem er sie durchgeladen hatte, legte er sie griffbereit in ein Kartenfach im Armaturenbrett.
»Was ist los?«, fragte Veronika.
Müller zuckte mit den Schultern. »Sie sollten das besser auchmachen, Frau Leutnant. Wenn wir angegriffen werden, kann alles
sehr
schnell gehen!«
Veronika spürte jedoch, dass ihnen im Moment keine Gefahr drohte. Ihr ausgeprägter Gefahrensinn hatte sie bisher jedes Mal rechtzeitig vor Schwierigkeiten gewarnt, und jetzt schwieg er. Trotzdem zog sie ihre eigene Pistole, eine P8 wie die des Obergefreiten, um Müller zu beruhigen. Nachdenklich sah sie aus dem Fenster. Staubige Felder erstreckten sich vor einer kahlen Hügelkette. Ein paar Gehöfte standen vereinzelt in der Gegend und wirkten verlassen. Ein paar Krähen saßen auf den Kabeln einer umgestürzten Stromleitung.
Kurz darauf passierten sie das Wrack eines 7,5-Tonners der Bundeswehr, das in den Straßengraben gerutscht und ausgebrannt war.
»Vielleicht ist
das
der Grund, warum die Jungs vorne so langsam fahren?«, meinte sie.
»Schon möglich … hoffentlich sind die Typen, die das waren, nicht mehr in der Nähe!«
»Glaube ich nicht. Nach einem Hinterhalt ist es das Beste, so schnell wie möglich die Stellung zu wechseln.«
»Hmm.« Müller war nicht überzeugt.
Bald darauf erreichten sie ein kleines Dorf. Die Gebäude waren staubig und heruntergekommen. Der Bürgerkrieg hatte seine Spuren hinterlassen: Mörsergranaten hatten die Straßen aufgerissen und Häuser in die Luft gejagt, hier und da waren provisorische Verteidigungsstellungen errichtet. Überall waren kleinkalibrige Einschusslöcher in den Wänden zu sehen.
»Langsam frage ich mich, wie lange das alles noch Sinn hat, was wir hier tun«, überlegte Veronika laut. Sie wusste, dass sie solche Gespräche eigentlich nicht führen durfte, schon gar nicht als Offizierin und schon gar nicht mit einem Untergebenen. Doch die Fahrt war so lang, und etwas Ablenkung von der Kälte war nur zu willkommen.
»Sinn, Frau Leutnant?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Naja … Mir kommt es vor, alsob sich die Leute hier immer weniger dafür interessieren würden, ob wir hier sind oder nicht. Sie haben vorhin selbst gesagt, dass es hier ziemlich … rau zugeht. Und es wird immer schlimmer.
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