Schattenkrieger: Roman (German Edition)
nicht ganz unterdrücken.
Das Land war nicht besiedelt und für eine Gegend, die so weit nördlich von Thelassa lag, bemerkenswert öde. Genau genommen befanden sie sich immer noch im Herrschaftsbereich der Stadt der Türme, doch der schlechte Boden und die Nähe der alten Ruinen der Vorväter hielten die Menschen davon ab, sich in dieser Gegend niederzulassen.
Die Sonne stand als roter Kreis am Himmel. Sie brannte grell und mit einer Hitze herab, die selbst für den Frühsommer sehr ungewöhnlich war. Sasha hatte Cole inzwischen die Haare geschnitten, ringsum lagen die braunen Locken im Gras. Er saß auf einem Fass und starrte besorgt ins Leere, als rechnete er damit, sie werde ihm gleich die Kopfhaut aufschlitzen. Tatsächlich war sie sehr in Versuchung, genau dies zu tun, doch die Selbstbeherrschung obsiegte. Noch.
»Erledigt.« Sie pustete die letzten Haarsträhnen von der Klinge, mit der sie gearbeitet hatte. Cole sprang sofort vom Fass und wandte sich mit besorgter Miene an sie. »Du siehst besser aus«, sagte sie und war selbst überrascht, dass sie es ernst meinte.
Cole fuhr sich mit der Hand über die kurzen Haare. Er zog Magierfluch aus dem Gürtel und hielt die Klinge vor sich, um im makellosen Stahl sein Spiegelbild zu bewundern. »Gut gemacht, Sasha«, sagte er grinsend. »Ich frage mich, ob Garrett und die anderen mich noch erkennen werden.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn an. »Du kannst von Glück reden, wenn er dich überhaupt willkommen heißt«, erwiderte sie. »Du hast ihn verletzt, Cole. Er liebt dich wie seinen eigenen Sohn und hat nur getan, was er für das Beste hielt.«
Coles Grinsen verflog, und er blickte betreten zu Boden. »Ich weiß. Ich wollte mich ja auch entschuldigen. Vielleicht … vielleicht habe ich etwas falsch gemacht.«
Sasha öffnete den Mund und setzte zu einer Antwort an. Sie und Cole kannten sich seit ihrer Kindheit. Sie hätte an einer Hand abzählen können, wie oft sie ihn so reumütig erlebt hatte, und hätte immer noch einige Finger übrig gehabt.
»Vielleicht hast du am Ende doch noch etwas gelernt.«
Cole nickte. »Ich habe eine Menge durchgemacht«, gab er zurück. »Aber ich bin dadurch ein besserer Mensch geworden …« Er ließ den Satz unvollendet, weil Isaac ins Lager zurückgeschlendert kam.
Der Diener hatte die Ruinen untersucht, die eine halbe Meile entfernt im Osten lagen, Zeichnungen angefertigt und sich Notizen gemacht. Sasha hatte ihn begleitet, die alten Trümmer ein paar Minuten lang angestarrt und war zu den anderen zurückgekehrt. Es war keineswegs so, dass die Überreste der Vorväterzivilisation langweilig waren – ganz im Gegenteil, was von der verschlungenen, fremdartigen Architektur noch erkennbar war, konnte man nur als wundervoll bezeichnen. Doch sie hatte die Gegend als bedrückend empfunden. Die Ruinen schienen an der Dunkelheit in ihr zu zerren, sodass sie es nicht ertragen konnte, sich lange dort aufzuhalten.
»Viele Bauten stehen noch«, verkündete Isaac fröhlich. »Das sollte die modernen Ingenieure beschämen. Die Vorväter waren so fortschrittlich, dass selbst die besten Handwerker und Architekten von Schattenhafen ihnen gegenüber wie Kinder wirken, die mit Bauklötzen spielen.«
Brianna, die sich mit der Kapitänin der Liebkosung unterhalten hatte, warf ihm einen Blick zu. »Du zeigst ein ungewöhnlich großes Interesse für die Geschichte«, bemerkte sie. »Meines Wissens haben sich die Vorväter zu Beginn des Goldenen Zeitalters aus diesem Land zurückgezogen.«
Isaac nickte. »Vor ungefähr zweitausend Jahren, aber ihr Einfluss ist immer noch spürbar. Das sollte uns einiges sagen, nicht wahr?«
Sasha wusste wenig über die Vorväter, wenn man von dem absah, was auch allen anderen bekannt war. Angeblich lebten sie jetzt viele Tausend Meilen entfernt im Westen auf der anderen Seite des Unendlichen Meeres. Selbst vor dem Götterkrieg war die Überfahrt ein gewaltiges Unterfangen gewesen. Seit der Herr der Tiefe untergegangen und aus dem Blauen Meer das Gebrochene Meer geworden war, galt die Aufgabe als beinahe unlösbar. Aus allen Stadtstaaten des Trigon waren im Laufe der letzten Jahrzehnte Schiffe aufgebrochen, und die meisten waren nicht zurückgekehrt. Diejenigen, die den Rückweg schafften, mussten zugeben, dass sie gescheitert waren. Denn selbst wenn ein Schiff erfolgreich die weite Wasserfläche überwand, war es ihm aufgrund irgendeiner seltsamen Magie nicht möglich, drüben
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