Schattenkrieger: Roman (German Edition)
Wirklichkeit konnte sie kaum ein Ende von dem anderen unterscheiden und hatte nicht die Absicht, sich auf einen Nahkampf einzulassen, wenn sie es irgendwie vermeiden konnte.
Sasha hatte unglaubwürdige Geschichten über Frauen gehört, die nie ein Schwert in der Hand gehabt und trotzdem auf einmal ein Heer angeführt und die Gegner wie Feuerholz zerhackt hatten. Das waren Märchen, die Fantasien verwöhnter Narren, die noch nie die schreckliche Kraft eines Mannes gespürt hatten, der sie am Boden festhielt.
Sie war nicht dumm. Sie hatte überlebt.
Dunkelhäutige Männer rempelten sie immer wieder an. Zehn Krieger breit würde die Truppe gegen das Tor vorrücken. Sie wartete mit Brodar Kayne, Jerek und einigen Söldnern, die sie nicht kannte. Dreifinger lauerte in der Nähe, der shamaathische Meuchelmörder war mit General Zoltas Abteilung aufgebrochen.
»Immer noch keine Spur von Isaac«, flüsterte sie dem alten Hochländer neben ihr zu. »Er ist wie vom Erdboden verschwunden.«
Brodar Kayne runzelte die Stirn. Er schwitzte jetzt schon stark. Anscheinend würde es der bislang heißeste Tag des Jahres werden. »Isaac ist ein komischer Kauz. Ich rechne damit, dass er irgendwann wieder auftaucht.«
»Das macht mich noch verrückt«, polterte Jerek. »Dieser ganze Mist hier. Du siehst den Feind, du greifst an und machst ihn fertig. Aber man steht doch nicht so lange herum und lässt den Schwanz raushängen.«
»Genau«, stimmte Kayne zu. »Anscheinend gehen die Sumnier etwas anders vor, als wir es kennen. Immer mit der Ruhe, Wolf. Wir werden bald unseren Kampf bekommen.«
Jerek spuckte aus. Sasha wandte sich ab, um ihren Widerwillen zu verbergen. Unglücklicherweise begegnete sie dabei Dreifingers Blick, der ihr einladend zuzwinkerte. Sie starrte zurück, ohne mit der Wimper zu zucken, und spielte mit dem Abzug ihrer Waffe. Doch dann knuffte sie jemand, und schon rückten sie gegen die Stadt vor.
Knapp außerhalb der Bogenschussweite hielten sie wieder an. Sasha konnte die winzigen Gesichter sehen, die sie zwischen den Zinnen hindurch beobachteten. Ihre Handflächen schwitzten, die Armbrust war so glitschig, dass sie ihr beinahe entglitt. Die Sonne stand wie ein glühender Schmelzofen am Himmel.
Auf einmal drang von ganz vorn Briannas Stimme herüber. Es war so laut, dass Sasha die Ohren wehtaten, obwohl sie gut fünfzig Schritte weiter hinten stand. An den Reaktionen konnte man ablesen, dass auch die Verteidiger auf der Mauer die magisch verstärkten Worte hören konnten.
»Bürger Dorminias! Ich bitte euch, die Waffen zu strecken. Wir wollen die Stadt nicht erobern, sondern befreien. Wir wollen euch von einem Diktator erlösen. Legt die Bogen und Schwerter nieder, und euch wird nichts geschehen.« Schweigen breitete sich aus, als alle warteten, welche Folgen Briannas Aufforderung haben würde. Sasha verscheuchte eine aufdringliche Fliege von ihrem Gesicht und starrte zu den Wolken hinauf. Hoch droben kreiste ein Geistfalke.
Sie wusste, dass die Bogenschützen auf den Mauern keine Soldaten waren. Es waren Bauern und Händler, die Salazar und die Wache zum Dienst gezwungen hatten. Die meisten hassten vermutlich den Magierfürsten der Stadt, doch die traurige Wahrheit war, dass vielen die Unterdrückung durch einen bekannten Despoten besser erschien als das Unbekannte.
Sie hatten jetzt die einmalige Gelegenheit, ihre Lage zu verbessern und einen rücksichtslosen Tyrannen durch eine wohlwollende Herrscherin zu ersetzen, die Dorminia zugleich Freiheit und Schutz bieten konnte. Sasha wusste nicht viel über Thelassa, aber die Magierin Brianna – die sie in den letzten zwei Wochen zu schätzen gelernt hatte – war Grund genug, der rätselhaften Weißen Lady zu trauen.
Sie hielt den Atem an. Die Verteidiger waren jetzt sehr aufgeregt. Einen Augenblick lang dachte sie, die Männer wollten tatsächlich die Waffen strecken und sich ergeben, aber auf einmal war die Ordnung wiederhergestellt, und die Beraterin der Weißen Lady bekam ihre Antwort.
Die Pfeilsalve schlug kurz vor ihnen ein. Brianna schüttelte den Kopf, wandte sich an General Zahn und sagte einige Worte zu ihm. Der kahlköpfige Hüne, der immer noch keine Rüstung angelegt hatte, verschränkte die Arme vor der vernarbten Brust und drehte sich zu seinen Männern um. »Wir greifen an!«, brüllte er. Der General brauchte keine Magie, um mit seinem gewaltigen Organ die ganze Truppe zu erreichen.
Die Söldner direkt hinter dem Befehlshaber hatten einen
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