Schattenkrieger: Roman (German Edition)
schrecklich berechenbar.
»Ja«, bestätigte er. »Mit dem Soldaten, der mich in mein Heim begleitet, will ich gern einen Tropfen teilen. Es ist in der Nähe des Hafens, der Weg ist nicht weit.«
Leutnant Toram zwirbelte sich ein letztes Mal den Schnurrbart, dann nickte er. »Ich kümmere mich selbst darum. Das ist doch das Mindeste, was ich tun kann, nachdem Ihr so viel zur Verteidigung der Stadt beigetragen habt.«
Der ergraute Offizier packte Eremuls Stuhl an den Griffen und schob ihn zur Kante der Treppe, die vom Torhaus nach unten führte. Stufe um Stufe bugsierte er den Stuhl hinab, jeder kleine Aufprall jagte schmerzhafte Stiche durch das Hinterteil des Besitzers. Der Halbmagier knirschte mit den Zähnen und unterdrückte den Schmerz. Der erste Teil seines Plans machte gute Fortschritte. Jetzt musste er nur noch hoffen, dass seine Kontaktperson dort war, wo sie sein sollte.
Mit beeindruckender Geschwindigkeit rollten sie nach Süden. Leutnant Toram gab sich große Mühe, seinen Vorgesetzten, die womöglich unbequeme Fragen gestellt hätten, aus dem Weg zu gehen. Überall waren Soldaten und Milizionäre unterwegs, um kleine Brände zu löschen und die Breschen in der Mauer zu flicken.
Eremul sah sich aufmerksam um. Viele Häuser waren dem Erdboden gleichgemacht, die Balken und Wände waren unter dem Gewicht der tonnenschweren Steine zusammengebrochen. Einige aus Granit gebaute Gebäude waren stabiler und trotz der Einschläge stehen geblieben, allerdings waren die Dächer zertrümmert. Aus einem Schlackehaufen in der Nähe ragte ein Arm heraus. Abgesehen von einer dunklen Blutlache am Rand des Schutthaufens war von dem Besitzer des Arms nichts zu sehen.
Sie rollten durch den südlichen Basar. Ein Blidengeschoss war fast im Zentrum des Marktplatzes gelandet und hatte mehrere Stände in ihre Bestandteile zerlegt. Anscheinend hatte dieses Projektil niemanden verletzt, aber ein Stück weiter ließ ein ganz anderer Anblick Eremuls Herz stocken. Eine Gruppe von Waisenkindern zerrte winzige Körper aus dem Heim im Südwesten des Basars. Einige Leichen waren bis zur Unkenntlichkeit zerquetscht und verstümmelt.
»Was ist passiert?«, fragte er mit belegter Stimme, als der Offizier ihn an den Kindern vorbeirollte.
Ein Waisenkind drehte sich zu ihm um. »Der Stein ist vom Himmel gefallen«, antwortete der Junge mit einer Stimme, die so leblos war wie ein alter Knochen. »Wir ziehen immer noch die Leichen aus den Trümmern.«
Als sie sich dem Hafen näherten, ergriff Toram das Wort. »Wir schicken die Findelkinder in die Steinbrüche von Malbrec. Wenn sie einen Unfall haben, wird sie niemand vermissen. Es muss ziemlich lästig sein, wenn dort all die kleinen Bastarde herumlaufen.«
Eremul schwieg und packte die Seiten seines Stuhls so fest, dass er fürchtete, das Holz werde zersplittern.
Ein paar Minuten vergingen, dann kam das Archiv in Sicht. Der Himmel hatte sich etwas aufgehellt, also begann wohl endlich die Dämmerung. Eremul sah sich nach der Kontaktperson um, die jedoch nirgends zu entdecken war.
»Ich dachte, ein Magier lebt in einem vornehmeren Haus«, bemerkte Toram, während er den Stuhl zur Eingangstür rollte. Der Schnurrbart des Leutnants bebte leicht, als er die Lippen verzog. »Es riecht nach Scheiße.«
»Danke für das Kompliment.« Eremul zog den kleinen bronzenen Schlüssel aus der Tasche und sperrte die Tür auf. Allmählich machte er sich große Sorgen. Wo steckt denn nur der Agent der Weißen Lady? Dem Brief zufolge sollten wir uns doch hier treffen. Vielleicht hatte man die Kontaktperson auch entdeckt. Wenn das zutraf, würde man sie sicherlich foltern, um ihr weitere Informationen zu entlocken – und das bedeutete, dass es um Eremul endgültig geschehen war.
Er rollte mit eigener Kraft in das Archiv hinein. Drinnen brannte kein Licht, und nach der kürzlichen Überschwemmung roch es immer noch feucht. Toram folgte ihm. »Es ist hier so dunkel wie in einem sumnischen Arschloch. Warum zünden wir nicht eine Kerze an und suchen uns etwas zu trinken …«
Der Offizier brach abrupt ab, als sich hinter der Tür ein Schatten von der Wand löste und ihn an der Gurgel packte. »Keinen Mucks«, flüsterte die geheimnisvolle Gestalt ein wenig melodramatisch.
Eremul blinzelte, konnte in dem schlechten Licht das Gesicht des Mannes jedoch nicht erkennen. »Ich darf wohl annehmen, du bist der Agent, den unsere gemeinsame Freundin geschickt hat.«
Toram wand sich. Der unerwartete Besucher hielt
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