Schattenkrieger: Roman (German Edition)
blickte in die falsche Richtung.
Cole dankte seinem Schicksal und hob abermals die Armbrust. Gerade als er sie ausgerichtet hatte, drehte sich der Wächter um. Der junge Splitter verschwand sofort in der Passage und wich zurück, bis er mit dem Rücken an einem großen Türflügel stand. Er hielt den Atem an.
»Wer ist da?«, fragte der Wächter. Dann war zu hören, wie scharfer Stahl aus der Lederscheide gezogen wurde. Cole legte die Armbrust weg, zog Magierfluch und stieß dem Wächter die Klinge in die Brust, als dieser um die Ecke trat. Der verzauberte Dolch glitt mühelos durch das Kettenhemd und bohrte sich tief in den Körper des Mannes. Der Tod, dachte Cole. Hier ist der Tod.
Als er das Gesicht des sterbenden Mannes sah, verging jedoch der Drang, witzige Bemerkungen zu machen, wie ein Pergament in einer Flamme. Er ist nicht viel älter als ich, dachte Cole. Er hat keine grausamen Augen wie das Pockengesicht oder dieser andere Wächter, der den alten Mann auf dem Haken getötet hat.
Dann erinnerte er sich an Kramers schockierte Miene, dem er die Kehle durchgeschnitten hatte. Mord ist weder edel noch heldenhaft. Es ist … einfach nur Mord. Cole lehnte sich an die Doppeltür. Das ist Salazars Schuld, sagte er sich. Wenn er tot ist, wird es keine Morde mehr geben. Dorminia kapituliert, und wir sind frei und können uns eine bessere Stadt aufbauen. Eine schönere Stadt.
Er legte das Ohr an die verschlossene Doppeltür. Dahinter lag offenbar die Große Ratskammer, aus der jedoch kein Laut herausdrang.
Schließlich stieg er vorsichtig über den Toten hinweg und erreichte endlich eine weitere Treppe. Er stieg hinauf und trat im zweiten Stock in die Bibliothek. Niemand war in der Nähe, vorsichtshalber kontrollierte er dennoch alle Regalreihen.
Als er den dritten Stock des Obelisken erreichte, stockte Davarus Cole der Atem.
Die ganze Etage bestand aus einem riesigen kreisrunden Saal. Mit Ausnahme der beiden Stellen, wo die Treppen nach unten und oben führten, waren rundherum Schaukästen mit dicken Glasscheiben in die Wand eingelassen. Darin waren seltsame ausgestopfte Geschöpfe ausgestellt, die er noch nie gesehen hatte.
In einem Kasten befand sich ein menschenähnliches Wesen mit vorspringen Stoßzähnen. Der Präparator hatte dem Wesen eine angriffslustige Haltung gegeben. Die mit Nägeln versehene Keule in der schinkengroßen Faust des Wesens war erhoben, als wollte es gleich die Scheibe zerschmettern. Die Darstellung war so naturgetreu, dass Cole sogar einzelne abstehende Haare auf der Schweineschnauze erkennen konnte.
In einem anderen Bereich der Kammer hing ein Ei in der Größe eines Kindes über einem großen Kohlenbecken. Erstaunt starrte er es an. Die Kohle brannte lichterloh, und doch stand die Flamme vollkommen still, starr wie Eis. Er legte die Hand auf das Glas und spürte sogar die Wärme, die von dem Feuer ausging. Über den Flammen hing reglos der Rauch.
Wie hatte Eremul diesen Raum noch genannt? Das Stasiseum?
Die Kuppel in der Mitte des Raums unterschied sich von den übrigen Ausstellungsstücken. Cole ging hinüber, spähte hinein und musste sich fast übergeben. Mitten in der Kuppel schwebte, alle viere von sich gestreckt, ein Mann. Mannshoch über dem Boden hielten ihn vier Eisenstangen fest, die durch Hand- und Fußgelenke getrieben und in dem kleinen Baum hinter ihm verankert waren. Ein fünfter Stab ragte senkrecht aus dem Boden empor und durchbohrte der Länge nach den ganzen Körper. Cole starrte die Abzeichen auf der Robe an und erkannte die Symbole der Großen Mutter, die er im Tempel in der Nähe des Hakens und in den Ruinen unter Thelassa bereits gesehen hatte. Außerdem waren noch andere Symbole zu erkennen – das schwarze Horn des Tyrannus, der Schädel des Schnitters und der Anker des Malantis.
Das Gesicht des Priesters war mitten in einem Schmerzensschrei erstarrt. Blutstropfen hingen reglos in der Luft, offenbar gefangen, während sie von den Stacheln, die den Mann durchbohrten, herabgefallen waren. Direkt vor dem Priester stand ein Sockel mit einer goldenen Urne. Sie trug einen Schriftzug. Cole sah genauer hin und entdeckte den Namen Dorminia.
Dann betrachtete er den Baum, an den der Priester genagelt war. Es handelte sich um eine kleine Eiche mit goldenen Blättern. So eine Eiche hatte auch im Verdisapark im Edlen Viertel gestanden, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. Sie war schon vor Jahren verbrannt, kurz vor der Ermordung seines Vaters.
Er riss sich
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