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Schattenkrieger: Roman (German Edition)

Schattenkrieger: Roman (German Edition)

Titel: Schattenkrieger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luke Scull
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dem Kerl das Hirn, ehe er einem das Gleiche antat.
    Noch einmal starrte er auf die Trümmer des Archivs. Er brauchte frische Luft. Also zog der Halbmagier die nasse Tür seiner zerstörten Wirkungsstätte auf und atmete tief die Gerüche seiner geliebten Stadt ein.
    Salzwasser. Fäulnis. Scheiße? Die überalterte Kanalisation hatte durch die Überflutung weiteren Schaden genommen und entließ ihren Inhalt in den höher gelegenen Straßen. Die Nachmittagssonne hatte die verschmutzten Straßen des Hafenviertels noch nicht völlig getrocknet, und das allgegenwärtige Tropfen des abfließenden Wassers bildete einen fast angenehmen Hintergrund für die Häuflein, die durch die überfluteten Straßen trieben.
    Ah, Dorminia in seiner ganzen Pracht.
    Auf einmal hörte er schmatzende Schritte. Er drehte den Stuhl herum und jagte dem Jungen, der sich ihm von hinten genähert hatte, einen gehörigen Schrecken ein. Nach den fadenscheinigen Kleidern und dem schmutzigen Gesicht zu urteilen, war er wohl einer der obdachlosen Bengel, die auf den Märkten der Stadt arbeiteten und Botengänge erledigten. Die meisten dieser Jungen starben, bevor sie überhaupt erwachsen wurden, denn die Verzweiflung trieb sie oft zu tollkühnen Taten, die ihnen eine öffentliche Hinrichtung einbrachten. Manche, die Hübschen, wurden auf heimlichen Auktionen an mächtige Regierungsbeamte verhökert. Ihr Schicksal war das tragischste von allen.
    Dieser Waisenjunge hier sperrte verblüfft den Mund auf und hatte die versiegelte Schriftrolle, die er in Händen hielt, völlig vergessen, während er den Mann ohne Beine anstarrte.
    »Was ist denn?«, fragte Eremul gereizt. Er war nicht in der Stimmung, freundliche Erklärungen abzugeben.
    »Ich habe eine Nachricht für Euch, Herr«, antwortete der Bursche, der den Blick nach wie vor nicht von der Stelle abwenden konnte, wo bei den meisten Menschen gewisse Gliedmaßen saßen. Eremul schnippte mit den Fingern, worauf der Junge sich augenblicklich erinnerte, wo er war, und dem Halbmagier die Schriftrolle reichte. »Eine Lady hat mich gebeten, Euch aufzusuchen und Euch dies hier zu bringen. Sie hat mir sechs Kupferkronen dafür gegeben und gesagt, Ihr würdet mir noch einmal das Gleiche zahlen, wenn ich die Rolle abliefere.«
    Eremul kniff die Augen zusammen. »Wie hat die Lady ausgesehen?«, fragte er.
    Der Junge legte verwirrt die Stirn in Falten. »Daran kann ich mich nicht richtig erinnern«, gab er zu. »Sie war ziemlich komisch. Das hat mich nervös gemacht. Olly wollte nichts mit ihr zu tun haben, aber er ist auch eine Memme.«
    »Schau an. Sechs Kronen sind ein mehr als großzügiger Lohn für einen kurzen Botengang durch die Stadt. Und wie du sehen kannst«, er deutete auf sein zerstörtes Archiv und seinen verstümmelten Körper, »bin ich nicht gerade der Goldene Gilanthus, der Dukaten scheißt.«
    »Wer ist der Goldene Gilanthus?«
    Eremul seufzte. »Der Handelsherr. Der Gott des Reichtums und der Kaufleute. Keiner der Hauptgötter, und außerdem ist er schon seit fünfhundert Jahren tot.« Er zog dem Jungen, der keinen Widerstand leistete, die Schriftrolle aus den Händen. »Nun, worauf wartest du noch? Verpiss dich.«
    Der Bengel blinzelte und begann auf einmal zu husten. Er hob die Hände zum Mund und spuckte hinein. Eremul verdrehte die Augen.
    »Ach, dieser alte Trick. Ich werde gleich in meine Gewänder greifen und einen schönen großen Beutel mit Gold hervorziehen, um es diesem armen kranken Jungen zu geben, dessen traurigen, leblosen Körper ich sicher schon sehr bald wiedersehen werde …« Er ließ den Satz unvollendet, weil der Junge nicht zu husten aufhörte. Der Bursche krümmte sich jetzt, und heftige Krämpfe schüttelten seinen ganzen Körper. Als der Junge sich endlich wieder aufrichtete, sah Eremul, dass er Blutspritzer am Kinn und an den Händen hatte.
    Der Junge würde wohl tatsächlich binnen einen Jahres zugrunde gehen.
    Der Halbmagier schob die Hand in eine Tasche und zog eine Silbermünze heraus. »Kauf dir was zu essen«, murmelte er. »Und trinke viel Tee mit Honig. Das hilft gegen den Husten.« Er warf dem Burschen die Münze zu, doch der Junge reagierte nicht schnell genug. Sie traf ihn seitlich am Kopf und fiel in eine Pfütze. Er hob sie vom schlammigen Boden auf und riss ungläubig die Augen weit auf.
    »Danke, danke«, stammelte er. Eremul hatte bereits den Stuhl herumgedreht und rollte ins Archiv zurück, um hinter sich die Tür zuzuknallen.
    Die Schriftrolle war

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