Schattenkrieger: Roman (German Edition)
über das Doppelkinn. »Ich kann dich nicht verstehen.« Barandas hielt das Ohr dicht vor den Mund des Mannes.
»Wer …«, krächzte er schwach. »Wer hat uns verraten?«
Barandas schüttelte den Kopf. »Das ist jetzt nicht mehr wichtig. Ich bedaure, was dieser Mann dir angetan hat, aber du kennst die Strafe für Verrat. Finde nun deinen Frieden.« Damit setzte er die Schwertschneide an den fetten Hals des Mannes und schnitt ihm die Kehle durch.
Dann funkelte er Thurbal an. »Darüber werden wir uns noch unterhalten. Dein Betragen ist nicht hinnehmbar.« Auf einmal runzelte er die Stirn, denn er hatte ein leises Ticken gehört. Fragend zog er eine Augenbraue hoch, doch sein unwirscher ergrauter Kollege ignorierte ihn demonstrativ.
Ehe Barandas nachfragen konnte, fiel ihm neben dem abgehackten Bein des Toten ein Funkeln auf. Es war ein kleiner Kristall, Quarz nicht unähnlich, der einen schönen grünen Farbton hatte. Wie Lenas Augen , dachte er. Der Stein war ein wenig mit Asche verschmiert, als hätte er im Feuer gelegen. Er rieb den Ruß ab und schob den Stein in einen Beutel, den er am Gürtel trug.
Ein leichter Lufthauch, und auf einmal stand Legwynd neben ihm. »Sonst gibt es hier kein Lebenszeichen mehr«, erklärte der Mörder mit dem Engelsgesicht. »Aber ich habe das hier gefunden.« Er hielt Barandas eine Karte von Dorminia und der Umgebung hin, die erstaunlich detailliert war. Ein hastig eingezeichneter Kreis erregte sofort seine Aufmerksamkeit. Er markierte einen bestimmten Ort im Osten der Stadt.
»Das Jammertal«, murmelte Barandas. Neun Tote, darunter keine Frau. Unser Spitzel sagte, sie seien zwölf. Dann dämmerte es ihm. »Legwynd«, sagte er. »Du läufst sofort zum Jammertal. Ich glaube, die Rebellen wollten unseren Aufenthalt im Obelisken zu ihrem Vorteil nutzen.«
Legwynd grinste und salutierte. »Ich werde noch vor der Mittagsstunde dort eintreffen. Falls sich im Jammertal Rebellen herumtreiben, müssen sie sich auf eine Überraschung gefasst machen.« Er klopfte auf die Dolche an seinem Gürtel und raste fast schneller davon, als ihm das bloße Auge folgen konnte.
Barandas sah sich im Tempel um. Er war in einer Welt ohne Götter aufgewachsen, aber der Anblick von so viel vergossenem Blut an einem ehemals heiligen Ort behagte ihm nicht.
»Thurbal«, befahl er. »Durchsuche noch einmal die Ruine, und dann verbrennst du die Leichen.«
Es war eine unangenehme Aufgabe, aber man musste eben tun, was notwendig war.
Eine unerwartete Botschaft
Das Archiv war verwüstet.
Eremul rollte mit seinem Stuhl langsam umher und wich den Stapeln zerstörter Bücher und den feuchten Papieren aus, die bald nur noch wertloser Brei wären. Ein leises Schmatzen begleitete ihn, als er langsam die Runde durch das zerstörte Archiv machte. Der größte Teil des Wassers war zurück ins Hafenbecken geflossen, aber der Teppichboden war immer noch nass.
Mutlos sackte er auf seinem Stuhl in sich zusammen. Das Projekt, an dem er dreizehn Jahre gearbeitet hatte, ging nun buchstäblich den Bach hinunter. Dreizehn Jahre. So lange hatte er in dieser Farce mitgespielt und so getan, als könnte er sich nach seiner Verstümmelung und der Vertreibung aus dem Obelisken so etwas wie ein neues Leben aufbauen. Das Archiv hatte ihm eine willkommene Ablenkung geboten und ihn davor bewahrt, sein elendes Dasein so zu betrachten, wie es wirklich war.
Eremul widerstand dem Drang, auf die Straße hinauszurollen und Feuer und Verderben über jeden zu bringen, der so dumm war, seinen Weg zu kreuzen. Warum eigentlich nicht in einem letzten wütenden Aufbegehren sterben? Den Idioten eine Retourkutsche für den Dreck verpassen, mit dem sie ihn all die Jahre beworfen hatten?
Kommt nur, kommt alle herbei! Kommt und glotzt den beinlosen Krüppel an. Macht nur. Ich bin ja sowieso kein richtiger Mensch.
Die Antwort auf seine Fragen lag natürlich auf der Hand. Wenn er die Gabe der Magie missbrauchte, wäre er nicht besser als dieser Kothaufen von Salazar – der Schweinehund, der sein Leben zerstört und ihm die Beine geraubt hatte. Und was der Magierfürst ihm angetan hatte, war verglichen mit dem letzten entsetzlichen Verbrechen nur eine Belanglosigkeit.
Der Tyrann von Dorminia hatte eine dicht bevölkerte Stadt mit Milliarden Tonnen Wasser überschwemmt und auf einen Schlag das größte Massengrab seit dem Götterkrieg vor fünfhundert Jahren erschaffen. Vierzigtausend Männer, Frauen und Kinder waren im Handumdrehen gestorben.
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