Schattenkrieger: Roman (German Edition)
Furcht. Das ist der Mörtel, der die erbittertsten Feinde zusammenfügt, wie es nicht einmal gemeinsame Ansichten über Tugend und Tradition unter den besten Freunden vermögen.
Die Kongregation hatte sich gebildet: ein Rat der herrschenden Hohepriester und Hohepriesterinnen, die den dreizehn Hauptgottheiten gedient hatten. Dank ihrer vereinten politischen und militärischen Macht war es ihnen gelungen, die Magie fast vollständig aus dem Land zu verbannen. Kein Träger dieser Kräfte wurde verschont. Eltern hatten lieber die eigenen Kinder erschlagen, als zusehen zu müssen, wie sie auf den Scheiterhaufen der Kongregation bei lebendigem Leibe verbrannt wurden. So sehr er den Magierfürsten auch hasste, Eremul musste zugeben, dass Salazar – zusammen mit Marius, einem Magier namens Mithradates und mehreren anderen führenden Magiern jenes Zeitalters – beim Aufbau des Widerstandes eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Sie hatten viele Menschen, die magische Gaben besaßen, vor den Flammen gerettet.
Er blätterte um und betrachtete eine Darstellung der Weißen Lady in ihrer ganzen ätherischen Pracht. Die Hohepriesterin der Großen Mutter, der in diesem Land am weitesten verbreiteten Glaubensrichtung, war auch eine mächtige Magierin gewesen.
Eremul schnaubte belustigt. Was hatte die Kongregation getan? Nun ja, sie hatte die Feindin bei sich aufgenommen. Prinzipien waren gut und schön, solange sie nicht den eigenen Interessen zuwiderliefen.
Warum die Weiße Lady einen so gravierenden Sinneswandel vollzogen hatte, war nicht klar, doch nachdem sie die Kongregation verraten hatte, bekam die Allianz der Magier genügend Spielraum, um den Angriff auf den Himmel zu planen. Der darauf folgende Götterkrieg hatte ein ganzes Jahr gedauert. Nur eine Handvoll Magier hatten die Odyssee durch die himmlische Ebene überlebt. Diejenigen, die zurückgekehrt waren, konnte man nicht mehr als Menschen bezeichnen. Sie hatten einen Teil der göttlichen Essenz in sich aufgenommen und die Unsterblichkeit erlangt.
Die alte Tyrannei weicht einer neuen. Das ist der Lauf der Welt. Er wollte gerade das Buch schließen, da bemerkte er, dass jemand im mittleren Teil mehrere Seiten herausgerissen hatte. Einige Blutflecken verunzierten das alte Pergament.
Die Schilderung gewisser Details, die Salazars Rolle im Götterkrieg betrafen, hatte dem Magierfürsten offenbar nicht zugesagt. So hatte der Tyrann von Dorminia den armen Schreiber zum Tode verurteilt und das beleidigende Kapitel entfernen lassen. Schon vor den unglücklichen Ereignissen im Rahmen der Säuberung und den folgenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit hatte es bestimmte Dinge gegeben, die man in der Grauen Stadt besser nicht zur Sprache brachte. Nicht, wenn einem das Leben lieb war.
Auf einmal klopfte es an der Tür. Eremul seufzte. Anscheinend war seit Kurzem halb Dorminia auf den Beinen, um ihm einen Besuch abzustatten.
Er rollte den Stuhl hinüber, zog den Riegel zurück und stieß die Tür auf.
»Ach du Scheiße«, murmelte er, als er in die harten Augen von vier Roten Wächtern blickte.
»Eremul Kaldrian?«, fragte der kommandierende Offizier. Das Herz pochte laut in der Brust des Halbmagiers, und hundert Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Sie wissen es. Verdammt, sie wissen es. Ich bin tot. Ich bin tot …
»Du kommst mit.« Der Wächter sah ihn scharf an. »Im Obelisken hat es einen Zwischenfall gegeben.«
Dorminia versank im Chaos.
Eremul betrachtete das Durcheinander auf den Straßen weit unter ihm. Die Einwohner waren zu weit entfernt, um einzelne Gesichter erkennen zu können, doch er stellte sich vor, dass die Mienen der bunten Schar Furcht, Hoffnung und in manchen Fällen wohl auch stille Zufriedenheit ausdrückten. Inzwischen hatten die meisten Einwohner erfahren, dass der Tyrann von Dorminia das Opfer eines Mordanschlags geworden war und sein Leben auf Messers Schneide stand.
Auch Eremul gönnte sich einen kleinen Moment der Befriedigung. Die Magistrate, die den Mordanschlag überlebt hatten, fragten sich zweifellos, wie diese Neuigkeiten durch die Mauern des Obelisken nach außen gedrungen waren. Die Wahrheit war, dass der Halbmagier an gewisse Kontaktleute Botschaften geschickt hatte, sobald sich ihm eine Gelegenheit dazu geboten hatte. Wenn die Kunde vom lebensbedrohlichen Zustand des Magierfürsten die tapfersten unter Dorminias Abweichlern veranlassen konnte, einen Aufstand anzuzetteln, dann wäre das gewissermaßen ein weiterer Nagel zu
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