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Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Titel: Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Liew
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Männer, kleben die Rentner plötzlich an ihren Frauen und behindern deren äußerst aktiven Ruhestand. Seitdem Ehefrauen auch nach einer Scheidung Anspruch auf die Rente ihrer Exmänner haben, machen die resoluten Seniorinnen kurzen Prozess. Nach der Scheidung finden die unselbstständigen Männer sich oftmals in anonymen Wohnvierteln wieder, in denen sie ohne soziale Bindungen sehr schnell vereinsamen.
    Nicht immer ergeht es denen, die bei ihren Kindern leben, automatisch besser. Immer häufiger müssen die Behörden eingreifen, wenn überforderte Familien zu drastischen Mitteln bei der Betreuung hilfloser Angehöriger greifen. Die böse Schwiegertochter dient den Medien gerne als Übeltäterin, wenn wieder einmal ein verwahrloster alter Mensch ans Bett gefesselt vorgefunden wird. Männer, auch die eigenen Söhne, werden großzügig aus der Verantwortung entlassen, Pflege gilt immer noch als reine Frauensache. Doch wie sollen diese praktisch allein die steigenden Ansprüche von Familie und Gesellschaft erfüllen? Auf der einen Seite erwartet man von ihnen die Ausübung eines Berufes, um im Alter finanziell abgesichert zu sein. Auf der anderen Seite sind sie diejenigen, denen die Bürde der Kindererziehung auferlegt und gleich anschließend die Versorgung der Alten überlassen wird. Die flächendeckende Versorgung mit Hortplätzen und Pflegeheimen ist noch schlechter als in Deutschland.
    Eine Freundin aus Studienzeiten traf es besonders hart. Yuko heiratete recht schnell einen wesentlich älteren Mann aus Fukuoka, Südjapan. Hätte sie vor der Heirat gewusst, was sie erwartete, wäre der Mann heute sicherlich immer noch auf Brautschau. Jahrelang musste Yuko sich um die alkoholkranke Schwie-germutter und den dementen Schwiegervater kümmern. Er verwechselte den Vorgarten mit der Toilette und schlich sich gerne mal für längere Spaziergänge aus dem Haus. Als das erste Kind in die Schule kam, erhielt der Schwiegervater endlich einen Platz im Heim. Heute arbeitet Yuko wieder. Allerdings hat sie selbst nicht viel davon, ihr Gehalt geht komplett für die Pflegestelle des Schwiegervaters drauf.
    „Bist du müde?“, fragt die 96-jährige Frau Omura ihre Plüschrobbe Paro und streichelt sie zärtlich. Das Kuscheltier antwortet mit gurrenden Geräuschen und wackelt ein wenig mit dem Kopf. Paro ist Frau Omuras Schatz, die demente alte Dame hält ihn zufrieden im Arm und scheint glücklich. Paro ist ein Roboter, er reagiert auf Ansprache und ist sogar lernfähig. Sein Einsatz in der Geriatrie ist ein großer Erfolg, andere Kuscheltier-Roboter erinnern an das Einnehmen von Tabletten, das Abdrehen des Gashahnes und das Abschließen der Tür bei Nacht. Die Robotik zielt schon lange auf die Altenhilfe. Der gewöhnliche Rollstuhl, auf Japans hubbeligen Gehwegen eh kaum zu nutzen, wird wohl bald der Vergangenheit angehören. Die Prototypen der modernen Stühle haben keine Räder mehr: Wie ein riesiges Insekt mit Menschenfracht schreiten sie einfach über Hindernisse hinweg. Andere Maschinenhelfer erleichtern jetzt schon in Einrichtungen das Umbetten. Sie heben Personen in die Badewanne und ersparen dem Personal so manche Kreuzschmerzen. In fünf Jahren soll die erste Roboter-Krankenschwester ihre Runden drehen, noch mildern Hunderte von Altenpflege-Schülerinnen aus Indonesien und den Philippinen den Notstand. Doch nach längstens vier Jahren Ausbildung müssen diese freundlichen Schwestern das Land wieder verlassen. Wegen der ungünstigen Gesetzeslage wollen die Heime in Zukunft lieber auf Roboter als auf Pflegerinnen mit Akzent setzen. Da ist es gut, dass in Japan Scheu oder gar Unbehagen gegenüber Androiden nahezu unbekannt ist. Nachbarland Korea arbeitet schon an Robotern, die mit eingebauter Kamera und Internetzugang den Zustand der Alten an ihre besorgten Angehörigen oder Ärzte übertragen. Ganz so weit ist Japan noch nicht, aber immerhin sind GPS-Sender mittlerweile Standard für Demenzkranke mit Freiheitsdrang.
    Bei einer Gruppe von Japans Senioren ist der Freiheitsdrang erstaunlich gering. Entgegen der öffentlichen Meinung wächst in Japan nicht die Kriminalitätsrate in der jungen Bevölkerung, sondern die Anzahl der über 65-jährigen Straftäter nimmt stetig zu. Denn: Für einige Alte ist der Knast die einzige Chance auf einen geregelten Lebensabend. So pendeln manche so lange zwischen Freiheit und Vollzug hin und her, bis die Strafe hoch genug ausfällt, um auf Dauer bleiben zu können. „Knast goes Geriatrie“

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