Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
langen Sonntage zu Hause hielt er kaum aus. Meist verschwand er um die Mittagszeit. Wenn er dann abends mit rot geränderten Augen wieder auftauchte, brachte er uns manchmal Spielzeug mit. Das gefiel uns natürlich, aber Mutter wollte das Zeug nicht. Sie war wütend, nicht wegen des verspielten Geldes. Sie erlaubte ihm ja nur ein Taschengeld. Aber die Zeit!, Nie hast du Zeit für uns‘, schrie sie dann., Immer nur deine verdammten Automaten!‘ Das hat uns früher ganz schön die Wochenenden verdorben.“
Die Erinnerungen bedrücken Emi. Heute ist Emis Vater pensioniert, manchmal geht er schon morgens zur Spielhalle. Emis Mutter hat resigniert, ihr Mann ist kein Sonderling oder gar Einzelfall. Exzessives Pachinko-Spielen gilt in Japan als akzeptables Hobby und wird auch kaum verheimlicht. Eine pathologische Spielsucht sehen nur die wenigsten darin, und professionelle Hilfe ist leider so gut wie unbekannt.
Schon oft habe ich morgens die Schlangen am Bahnhof vor der Pachinko-Halle gesehen. Geduldig warten Rentner, solide Hausfrauen und eine paar Männer in Anzügen auf das Öffnen der gläsernen Schiebetüren. All diese japanischen Durchschnittsbürger vereint die Sogkraft des einfachen Glückspiels. Spielsucht kennt bekanntlich keine Grenzen, auch in Deutschland lassen sich die Menschen vom Flippern verführen. Doch verabrede ich mich kaum, wie hier üblich, mit meinen Kollegen oder den Frauen aus dem Volkshochschulkurs am Spielautomat. Dann schon eher mal zu einem schicken Abend im Spielkasino mit vorgeschriebener Abendgarderobe. Diese Art von Unterhaltung ist in Japan jedoch verboten. Legal spielen kann man hier also nur in Pa-chinko-Hallen, denn die sind offiziell keine Glückspielbetreiber, sondern Stätten der Entspannung und des Freizeitvergnügens. Hell, sauber und so ganz ohne Schmuddelimage steht in jedem größerem Ort Japans eine dieser Hallen und hält Bürgern über 18 seine Türen auf. Auch der radikale Verzicht auf das vornehme Gebaren so mancher deutschen Spielbank senkt gehörig die Hemmschwelle vor dem Glückspiel, das angeblich keines ist. So flippern regelmäßig die Hälfte aller Männer und ein Fünftel der Japanerinnen. Knapp 50 Millionen Kunden suchen nur Vergnügen und schielen nicht auf den Jackpot? Wohl kaum.
Auch ohne Emi will ich mir endlich einmal selbst anschauen, was so viele Japaner in ihren Bann zieht. Nach außen erscheinen Japaner immer so besonnen und rational, und doch soll es hier an die zwei Millionen Spielsüchtige geben, zwanzigmal mehr als in Deutschland! Rechts und links vom Eingang dekorieren riesige Blumenrosetten die Front der Pachin-ko-Halle. Warum, frage ich mich, nehmen sie für einen Spielsalon Blumenschmuck, den man in dieser Form nur auf Beerdigungen verwendet? Weil man hier sein Geld begräbt?
Ein Mann im verknitterten Anzug kommt heraus. Eine ältere Frau marschiert zielstrebig hinein, ich folge ihr kurzentschlossen. Und betrete eine andere Welt, erfüllt von lärmender Musik und dem Rattern tausender Metallkugeln. Übergroße Papp-Mangafiguren heißen mich willkommen, an der Decke versprühen Diskokugeln Lichtblitze. Riesige Gebinde von Plastikblumen in kräftigen Bonbonfarben runden die betont muntere und doch steril wirkende Innendekoration ab. Schon winkt mir einer der Platzanweiser mit Fliege und setzt mich vor einen Pachinko-Automaten. Worte wechseln wir nicht, dafür ist es viel zu laut. Ich werfe meine erste Münze ein, der Apparat blinkt und piepst, unten fallen eine Handvoll Kugeln heraus. Nun kann es losgehen, mein erstes Pachinko-Spiel! Mit einem großen Knauf schleudere ich die Kugeln nach oben und lasse sie durch ein Labyrinth von Nägeln und Öffnungen wieder herunterrattern. Fällt die Kugel nun in bestimmte Öffnungen, gewinne ich … noch mehr Kugeln.
Das ist wirklich kinderleicht!
Kein Wunder, war Pachinko ursprünglich doch für Kinder gedacht. Die ersten Flipperautomaten kamen in den Zwanzigerjahren aus Amerika und wurden aus Platzmangel senkrecht in den Bonbonläden aufgestellt. Gewann das Kind eine hohe Anzahl an Kugeln, bekam es ein kleines Geschenk aus dem Ladenfundus. Bald schon fanden die Erwachsenen Gefallen an dem Spiel, und der erste Pachinko-Salon eröffnete 1930 in Nagoya. Die Stadt bezeichnet sich daher gerne als Geburtsstätte des japanischen Pachinko. Und das bezweifelt auch niemand, der Nagoya ein bisschen besser kennt. Die Stadt liegt geografisch recht genau auf halbem Weg zwischen Tokyo und Osaka und tat sich schon
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