Schattenlord 1 - Gestrandet in der Anderswelt
bin.«
Auf einmal stand Milt neben ihr, und Zoe schritt hoch erhobenen Hauptes zwischen den Umstehenden hindurch. Deutlich sichtbar bildeten sie eine Gruppe gegen die anderen.
»Habt ihr nicht zugehört, was der Flugkapitän gesagt hat?«, sagte Milt scharf. »Hören wir auf mit diesen haltlosen Beschuldigungen!«
»Ist ja klar, dass einer wie Sie die zwei verteidigt …«, setzte die jüngere Stewardess an.
Da platzte Jack der Kragen. »Hör sofort auf damit!«, fuhr er die Frau an. »Es reicht jetzt wirklich!«
»Und außerdem«, setzte Milt fort, »bin ich auch herumgeschlichen, und ich war nicht der Einzige. Noch jemand hier, der wegen eines natürlichen Bedürfnisses aufstehen musste? Na los, ohne Scheu!«
Da erklang eine ganz andere, junge Stimme, zittrig und stammelnd. »Sie … sie sind weg.« Am Rand des Lagers stand ein innerhalb eines Tages dünn und blass gewordenes fünfzehnjähriges Mädchen.
Das sorgte für Ablenkung, zumindest für den Moment.
»Was ist weg?«, fragte Felix Müller seine Tochter.
»Nicht was«, flüsterte Sandra, ihre rot geränderten Augen waren weit aufgerissen. »Sondern wer.«
Das ließ erst recht alle aufhorchen. Angela war sofort bei ihrer Tochter und legte den Arm um ihre Schultern. »Was hast du gesehen, Sandra? Wo kommst du überhaupt her?«
»Von der anderen Seite des Flugzeugs«, antwortete das Mädchen wie in Trance. »Und … die Toten … sind weg.«
»Keinesfalls«, widersprach Jack strikt. »Wir haben erst ein paar im Sand verscharrt, mehr haben wir gestern nicht geschafft.«
»Geh doch nachsehen.« Sandra sah ihn mit flackernden Augen an.
»Also schön.« Jack sah in die Runde. »Ihr bleibt alle hier und wartet, verstanden? Das ist noch nicht beendet. Ich komme gleich wieder.« Damit machte er sich auf den Weg.
Keiner der anderen rührte sich. Die meisten wirkten ratlos und verwirrt.
Schon nach wenigen Augenblicken kehrte Jack im Laufschritt zurück. Er war bleich, und zum ersten Mal hatte er die Fassung völlig verloren.
»Es stimmt, was Sandra gesagt hat«, begann er.
Sandra wollte wütend etwas erwidern, aber ihre Mutter hinderte sie daran.
»Nicht ein einziger Toter liegt dort mehr. Sie sind alle fort.«
»Aber wie … wie kann das sein?«, fragte Karys konsterniert.
»Kommen Sie mit«, schlug Jack vor. »Sehen Sie es sich selbst an. Vielleicht finden Sie eine Erklärung. Ich weiß keine.«
»Ich gehe nicht!«, erklärte Rimmzahn rundheraus. »Wer weiß, was als Nächstes gestohlen wird.«
Andreas wandte sich den beiden Stewardessen zu. »Ihr fangt mit der Ausgabe an. Jeder einen Becher voll und Erdnüsse. Kriegt ihr das hin?«
Sie nickten.
»Ich werde die Verletzten versorgen«, sagte Angela.
»Ich helfe dir«, bot Luca sich an, ebenso sein Vater und nach kurzem Zögern auch Sandra.
»Ich schau mal nach dem Flugkapitän«, verkündete ein junger Mann zwischen Mitte und Ende zwanzig, schmal, mit rötlich blonden Haaren, hellgrünen Augen und länglichem Gesicht mit einem Hauch von Sommersprossen. »So von Beinahe-Landsmann zum anderen.«
»Wo stammst du denn her, Kumpel?«, fragte Milt.
»Belfast.« Der andere grinste. »Bin ein bisschen rumgekommen, vielleicht kann ich ihm was Gutes tun.«
Laura war ein wenig hin und her gerissen, weil sie ebenfalls nach Elias sehen wollte, aber sie war wegen der verschwundenen Leichen zu neugierig.
»Ich halte die Stellung«, sagte Zoe und winkte nachlässig. »Und passe auf, dass du deine Ration kriegst.«
Von den beiden Stewardessen kam kein Ton. Die anderen machten sich daran, ihre bescheidenen Lager aufzuräumen und sich ein bisschen herzurichten. Immerhin waren sich alle in dem unerfüllbaren Wunsch einig, dass eine Dusche und eine Badewanne voll Kaffee das höchste der Glücksgefühle wären.
Während sie mit Milt um das Wrack herumging, dachte Laura erneut an ihr nächtliches Abenteuer. Ob der Mann - sie zweifelte nicht daran, dass es sich bei dieser stählernen Kraft und dem Klang der Stimme um einen Mann gehandelt hatte - mit den Diebstählen zu tun hatte? Aber er hatte sie niedergeschlagen, weil sie zwei Leute belauscht hatte - war er der männliche Teil des Paares gewesen?
Es wurde immer verwirrender, abgründiger. Denn wer stahl auch noch Leichen?
Sie untersuchten das gesamte Gebiet. Es gab keine Anzeichen von Verschleppung, keine Spuren, nichts. Einige Leichen waren zudem so fest verkeilt gewesen, dass ein Einzelner sie unmöglich hätte bergen können.
In düsterer Vorahnung
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