Schattenlord 12 – Lied der sieben Winde
Ich muss mit ihm reden.« Er machte sich auf eine längere Diskussion gefasst, Wartezeiten und dergleichen, wie es in der Menschenwelt üblich wäre, um die Wichtigkeit und Bedeutung der Anführer hervorzuheben und zu zeigen, dass sie weit aus der Masse ragten. Aber nichts dergleichen.
Der Gog/Magog winkte ihm zu folgen. »Dann komm mit. Ich glaube, er ist gerade fertig mit dem Essen, dabei will er nämlich nicht gestört werden.« Der Hundsköpfige neigte sich leicht zu Norbert wie zu einem vertraulichen Gespräch. »Offen gestanden will ihn sowieso keiner dabei stören, seine Tischmanieren sind nicht sonderlich gesittet.«
Hunds- und wolfsköpfige Schlagetots mit Tischsitten. Andererseits passte das zu dem wohlgeordneten, ruhigen Lagerleben. Keine Exzesse, keine Streitigkeiten, keine Huren, keine Saufgelage. Es waren auch keine Gefangenen zu sehen, die gequält wurden, oder auf Stangen aufgespießte Köpfe; Hunde, die sich um herumliegende Körperteile stritten ... nichts. Es war überhaupt nicht so, wie Norbert sich das Lager des gefürchteten Feindes vorstellen würde. In der menschlichen Historie gab es ganz andere Beispiele. Fehlte nur noch, dass »der König« ihm ein Träubchen und eine Partie Rommé anbot.
Sie gingen auf Norbert unerkennbaren Pfaden kreuz und quer durch das Lager zwischen den Zelten hindurch. Schließlich erkannte er ein schon durch seine Größe königlich wirkendes Zelt, das auf einem größeren Platz stand. Wie alle Zelte hier bestand es aus allen möglichen Stoffbahnen, die augenscheinlich willkürlich zusammengeschustert worden waren, was gerade zur Hand war. Lehmfarben herrschten vor, aber es waren auch alle kräftigeren Farben vertreten sowie Weiß und Schwarz.
Norbert hätte eine Fahne auf dem Zeltdach erwartet, das irgendwie Ähnlichkeit mit einer Zirkuskuppel hatte, doch es war nichts zu sehen. Entweder waren die Gog/Magog so sehr von ihrer Freiheit überrascht worden, dass sie in der Eile keine gefertigt hatten, oder sie brauchten kein Zeichen. Nun, man wusste ja auch, wer sie waren, sobald man sie sah. Es gab niemanden sonst wie sie, da war Norbert sicher. Dunkel konnte er sich erinnern, dass der Presbyter Johannes sie einmal erwähnt hatte, das hatte er in irgendeiner TV-Sendung gesehen.
Der Hundsköpfige hatte ihn wortlos bis hierher geführt, und niemand sonst nahm von dem Gast Notiz. Als sie sich dem geschlossenen Zelteingang näherten, hörte Norbert Geräusche, die eindeutiger Natur waren. Und dazu ein Knurren und Jaulen und Hecheln und, so interpretierte er es zumindest, ein weibliches Fiepen, das aber keineswegs ängstlich oder schmerzlich klang.
Sein Führer blieb stehen, legte den Kopf leicht schief. Seine Nase zuckte witternd, und seine Ohren bewegten sich.
»Der Nachtisch«, sagte er. »Warten wir noch etwas, es wird nicht lange dauern.«
Immerhin etwas war vertraut und normal. Norbert verdrehte die Augen. Es ging jedenfalls ordentlich zu im Zelt, dass die Bahnen noch wackelten. Schließlich erklang ein donnernder Schrei, gefolgt von Stille.
Kurz darauf öffneten sich die Eingangsbahnen leicht, und eine wolfsköpfige Gog/Magog kam heraus. Sie sah leicht ramponiert aus, wirkte aber sehr zufrieden, leckte sich mit langer Zunge über die Lefzen, während sie ihre mitgenommene Kleidung richtete und wiegend davonschritt.
»Warte hier.« Sein Führer verschwand im Zelt und kehrte nach nicht einmal einer Minute zurück. »Du kannst eintreten.«
Der Gestank nach Sex und Pheromonen erzeugte erneut Ekel in Norbert, vielleicht schlimmer sogar noch als draußen auf dem Feld. Blinzelnd stand er im Halbdunkel und versuchte sich zu orientieren.
Von irgendwoher kam ein grollendes Geräusch. »Sei willkommen, Bote des Schattenlords, in meinem Lager.«
»Äh, Botschafter, nicht Bote«, verbesserte Norbert, denn darauf legte er Wert. Er war kein Handlanger oder jemand, den man herumschickte, um sich einen Hamburger oder die Tageszeitung bringen zu lassen.
»So ... dann bringst du also keine Nachricht?«
»Nein, ich habe einen Auftrag für dich.«
Suchend ließ er den Blick schweifen, es war kaum etwas zu erkennen. Ein großes Lager, Rüstung, Waffen ... und irgendwo dazwischen bewegte sich etwas. Etwas Dunkles. Und Großes.
»Spreche ich mit dem König?«, fragte er.
Und dann wich alles Blut aus seinem Gesicht, und seine Füße stolperten zurück. »Oh Gott«, stieß er panisch hervor. »Was bist du?«
Ein riesiges Geschöpf schälte sich aus dem Dunkel ins
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