Schattenlord 13 – Der Dolch des Asen
Händen einer Frau, die zur willfährigen Helferin Alberichs und womöglich wahnsinnig geworden ist.«
Arun holte tief Atem. »Wenn ich mich auf den Weg mache und in dieses Land vordringe, werde ich Aswig und Nidi mitnehmen müssen. Die beiden sind gut aufeinander eingespielt, und nur sie können mir sagen, wo der Dolch Girne ganz genau versteckt ist. Und ich brauche jemanden dabei, der auf sie aufpasst.«
»Und da hast du ausgerechnet an mich gedacht?« Harmeau wich zurück, als wollte er die Flucht ergreifen. »Schneid mir ein Bein ab, reiß mir die Zunge raus oder stich mir ins Herz, Käpt'n! Aber nichts wird mich dazu bringen, Kindermädchen für einen dummen Knaben und ein unnützes Geschöpf zu spielen. Nichts!«
Arun langte blitzschnell zu und schnappte sich das Objekt seiner Begierde. »Eine schöne Pfeife. Eine alte Pfeife. So ein Ding findet man selten heutzutage, nicht wahr? Der Kopf ist magisch aufgeladen. Alles, was darin brennt, entwickelt ein seltsames Eigenleben, und womöglich wirkt sich die Magie auch auf den Besitzer aus.«
»Nicht die Pfeife, Käpt'n ...« Harmeau streckte verlangend eine Hand aus. Er wirkte wie ein kleines Häufchen Elend.
»Du kannst sie gleich wieder zurückhaben. Alles, was ich von dir verlange, ist ein Eid. Ein Schwur, dass du mich begleitest und auf unsere beiden kleinen Freunde aufpasst.«
Arun lächelte. Das war zwar nicht der feinste aller Schachzüge gewesen – doch er hatte auch niemals behauptet, sauber zu kämpfen. Als Kapitän eines Schiffs wie der Cyria Rani musste man sich durchaus solcher Untugenden wie Heimtücke und List zu bedienen wissen.
Die Mauer tauchte vor ihnen aus dem Nebel auf. Jenes Bauwerk, das das Reich der Gog/Magog vom Rest Innistìrs abtrennte. Sein Eisenkern, von matt gewordenem Kupfer ummantelt, wirkte sich fatal auf magische Kräfte aus.
»Höher!«, befahl Arun. »Wir dürfen kein Risiko eingehen.«
Die Cyria Rani mochte unter der Wirkung dieses Bauwerks leiden, ebenso wie die meisten Besatzungsmitglieder. Arun hatte keine Lust, Schiff und Besatzung aufgrund von Leichtsinn zu verlieren.
Der Steuermann gab die Anweisungen weiter. Der Bug der Cyria Rani hob sich, sie visierten die Sonne an, kreuzten dann unter sich blähenden Segeln. Ein Zug von Reihern wich ihnen misstrauisch aus. Sie schrien Warnungen, die weitere Gruppen hinter ihnen weite Bogen fliegen ließen. Die Wolkenlage war gut, die Windströmungen ebenfalls. Die Manöver gingen leicht von der Hand; für Aruns Geschmack beinahe zu leicht.
Doch dieser Teil ihrer Aufgabe war wohl der leichteste. Ins feindliche Gebiet zu gelangen war die eine Sache. Den Dolch an sich zu bringen und das Land der Gog/Magog unbeschadet wieder zu verlassen eine andere.
»250 Faden Höhe«, sagte der Steuermann und deutete backbords. »Wir sind bereits über die Mauer hinweg.«
»Sehr gut. Dann suchen wir uns ein nettes Plätzchen, an dem wir uns umsehen können. Reisen wir mit denen da dort vorne ...«, Arun deutete auf sich hochtürmende Wolkengebirge, »... und sehen wir zu, dass wir so unbeobachtet wie möglich bleiben.«
»Die Gog/Magog haben kein sonderliches Interesse an dem, was über ihnen geschieht. Sie sind erdgebunden.«
»Ich möchte so viele Risiken wie möglich ausschließen. Also nimm Kurs!«
Der Steuermann setzte seine Befehle um wie immer. Hatte dieser treue Gefährte denn schon jemals an Meuterei gedacht? Ahnte er, dass er der weitaus bessere Seemann als Arun selbst war und womöglich auch der bessere Kapitän? Er war es, dem die Leute vertrauten, dessen Befehle sie Tag für Tag befolgten.
In der Ferne, nordwestlich, sah der Kapitän ein Glitzern. Er hielt das Fernrohr ans rechte Auge und vergewisserte sich, dass das, was er entdeckt hatte, tatsächlich ein größeres Gewässer war. Es schmiegte sich in ein Trogtal, dessen angrenzende Wände rau wirkten und keinerlei Hinweis auf Leben lieferten. Im kreisrunden See zeigte sich eine pupillenförmige Insel, die diesem natürlichen Gebilde den Anschein eines Elfen- oder Menschenauges gab.
»Dorthin!«, wies er den Steuermann an. »Das scheint mir ein nettes kleines Versteck für eine erste Orientierungspause zu sein.«
Das Eiland bot ihnen alles, was sie benötigten. Frisches Trinkwasser, Wild, Früchte und Wurzeln. Der Hilfskoch machte sich in Begleitung einiger Besatzungsmitglieder auf den Weg, um ihre Vorräte aufzustocken, während der Steuermann Reparaturen an der Takelage und am Schiffsrumpf durchführen ließ.
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