Schattenlord 2 - Stadt der goldenen Türme
etwas, das ein Spiegelbild zurückwarf. Sie sahen nur andere Wesen die sich wie im Traum bewegten und wiederum sie anstarrten.
»Es ist ungesund, die Mainaks allzu lange zu beobachten«, flüsterte ihr Najid zu.
»Die Mainaks?«
»Wesen, die uns beobachten, so, wie wir sie beobachten. Einige Stadtphilosophen sind der Meinung, dass wir uns in Wirklichkeit in einer Art Glaskäfig befinden. Wie gefangene Tiere. Und diese Wesen, die wir Mainaks nennen, haben den dunklen Palast-Kristall hierher gesetzt, um uns zu beobachten und sich über uns zu amüsieren.«
Laura fröstelte es mit einem Mal, trotz der großen Hitze. Sie wandte den Blick ab und sah nach vorne. Hin zum Pranger und den ringsum stehenden Buden, deren Besitzer lautstark ihre Waren anpriesen.
Najid hatte sie vor dem Anblick des Prangers gewarnt. Dennoch konnte Laura den Schreckensschrei angesichts des riesigen Flecks gestockten Bluts kaum unterdrücken.
Die Städter, ihre Diener und Sklaven rutschten und glitten achtlos über die rot-schwarze Fläche. Für sie war dieser Straf- und Hinrichtungsort Normalität. Hier herrschte der Scharfrichter, und er bediente sich zur Belustigung des Volks an Mitteln, die Laura aus den Museen der Erde kannte: Eiserne Pfähle, Fallbeile, Ketten, Haken und vieles mehr standen zur Ansicht. Der Henker, in blütenweißes, wallendes Gewand gekleidet, erläuterte bereitwillig die Funktion seiner Ausrüstungsgegenstände.
»Weg von hier!« Laura unterdrückte den Würgereflex. »So rasch wie möglich.«
Rings um den kleinen, abgesperrten Bereich mit jenem Podest, auf dem der Scharfrichter seine Arbeit offensichtlich verrichtete, staken abgetrennte Gliedmaßen und Köpfe auf Lanzen. Es stank. Fliegen umkreisten die verwesenden Leichenteile.
»Wartet!« Najid hielt sie und ihre Begleiter zurück.
»Was ist los?«, fragte Jack unwirsch. »Möchtest du dich etwa an dieser Zurschaustellung aufgeilen?«
»Nein ...« Der junge Sklavenhändler trat näher an die gepfählten Köpfe heran und betrachtete sie.
»Das ist ja nicht zum Aushalten!« Zoe würgte, hielt sich beide Hände vor den Mund. »Ich glaube, ich muss kotzen!«
Sie eilte davon, hin zu den Häusern links von ihnen, um sich dort in einer goldverzierten Mülltonne zu erleichtern. Laura wollte ihr folgen. Mit ihr reden. Sie vom Grauen ablenken. Sie durften nicht noch weiter auffallen ...
Najid kehrte von seiner intensiven Besichtigung zurück. »Es gibt ein paar neue Aspekte zu berücksichtigen«, sagte er heiser. Die Tätowierungen in seinem Gesicht wirkten fahl und waren kaum noch von seiner Hauttönung zu unterscheiden.
»Und zwar?« Laura behielt Zoe im Auge. Die Freundin in der Maske einer Städterin hatte sich über die Tonne gebeugt.
»Einer der Hingerichteten ist Akrim. Ein Elefthi wie ich und enger Vertrauter meines Vaters.«
»Akrim?« Finn horchte auf. Er drängte sich an anderen Gaffern vorbei und besah nun ebenfalls die Toten, um nach wenigen Sekunden zurückzukehren. Er war leichenblass. »Ja, das ist Akrim. Und nicht nur das: Ich habe auch die Köpfe von Cronim und Arishe entdeckt; jener beiden Männer, die uns als Sklaven in die Stadt geführt haben. Ihre Suche nach einem kleinen Anteil am Reichtum der Stadt ist zu Ende gegangen ...«
Es dauerte eine Weile, bis Laura den Mut fand, die Köpfe der drei Männer zu betrachten. Zwei von ihnen starrten ins Leere; die Zungen waren schwarz und verkohlt. Die Augen jenes Mannes, den Finn Arishe genannt hatte, fehlten hingegen.
»Ich hatte das Gefühl, dass er mir helfen wollte ob wohl er seinem Herrn Cronim treu ergeben war«, flüsterte Finn Laura zu. »Arishe gab mir, während ich als Sklave verkauft worden sollte, den Rat, keinen Fluchtversuch zu unternehmen, sondern abzuwarten.«
»Aber warum hat man ihn und die beiden anderen einer Folter unterzogen und sie hingerichtet?«, fragte Laura ebenso leise zurück. Sie starrte in den Himmel und versuchte, den Anblick der Leichen aus ihren Gedanken zu bannen.
Finn gab keine Antwort. Betreten standen sie da und bemühten sich, ihre Gedanken neu zu ordnen. Najid war an den Scharfrichter herangetreten und verwickelte ihn in ein lebhaft geführtes Gespräch. Der Henker wandte seinen breiten Rücken von all den anderen Neugierigen ab und kümmerte sich ausschließlich um den Elefthi. Irgendwann reichte ihm Najid verstohlen ein kleines Ledersäckchen und kehrte zu den in Städter verwandelten Menschen zurück.
»Ich habe einige Informationen erhalten«, sagte
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