Schattenlord 2 - Stadt der goldenen Türme
wartenden Kutschen; vorbei an einem Durcheinander an Eindrücken, das Laura nicht erfassen und erst recht nicht einordnen konnte. Worte und Geschrei, Gerüche, Gelächter, Bilder - dies alles vermengte sich, ohne einen Sinn zu ergeben.
Die Stadt interessierte Laura derzeit nicht; sie war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Immer wieder tanzten Schlagstöcke und Schwertknäufe über ihren Rücken, immer wieder waren Schmerzensschreie von anderen Menschen zu vernehmen. Bis sie einen vergitterten Verschlag erreichten, der gerade ausreichend groß war, um sie alle aufzunehmen.
Das Tor schlug quietschend hinter ihr zu. Die Wächter entfernten sich, ohne weiter auf sie zu achten, derbe Zoten reißend.
Stille kehrte ein. Stille, die lediglich von leisem Stöhnen und Weinen durchbrochen wurde.
17
Sikbloms
Lust
D as hat sie wirklich gesagt?« Der Gnom hüpfte aufgeregt hin und her, umrundete Finn und zwickte sich immer wieder in die Arme, als müsste er feststellen dass er nicht träumte.
»Lass es!«, meinte Finn amüsiert. »Ich weiß ganz genau dass du uns belauscht hast. Du hast die Dame gehört.«
»Ich kann es einfach nicht fassen! Gystia hat niemals zuvor auch nur andeutungsweise so etwas wie Mitleid gezeigt. Du bist ein wahrer Wunderknabe ...«
»Schon gut, schon gut.« Finn blieb stehen und sah sich um. Sie standen auf einem kleinen Platz, von dem mehrere Wege und Straßen abzweigten. Händler nahmen das Rund in der Mitte in Beschlag; doch deren üppiges Warenangebot interessierte ihn nicht. »Wohin jetzt?«, fragte er stattdessen.
»Nach rechts, nach rechts! Den Hügel hinauf. Hin zum Hügel, in eine der elitärsten Wohngegenden der Stadt.«
Sie querten den Platz und achteten tunlichst darauf, die Blicke der anderen Passanten zu ignorieren. Die Städter und ihre Sklaven ahnten wohl, wer er war. Was gestern im Palast Gystias geschehen war, mochte heute tagsüber in allen Häusern ringsum diskutiert worden sein; umso mehr, als er, Finn, nunmehr die Erlaubnis erhalten hatte, den goldenen Käfig der Dame zu verlassen.
Er beobachtete und nahm so viele Eindrücke wie möglich in sich auf. Immer wieder lösten sich Beschnüffler aus dunklen Hauseingängen und krochen näher. Sie rieben ungeniert ihre Nasen an ihm. Das Odeur eines Menschen haftete ihm an, und mehr als einmal erhielt er eindeutig zweideutige Angebote von den Damen und Herren der Stadt.
Finn tat sein Bestes, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Doch was auch immer er unternahm - er fiel auf.
»Ich hätte dich vor unserem Aufbruch verwandeln sollen«, seufzte Brisly.
»Verwandeln?!«
»Ich bin ein Gnom, schon vergessen?«
»Ich wusste nicht, dass Gnomen besondere Kräfte zur Verfügung stünden. Ich dachte, dass ihr Erd- oder Berggeister wärt, entfernt verwandt mit Zwergen ...«
»Zwerge, pah!« Brisly blies respektlos einen münzgroßen Popel durch eines seiner Nasenlöcher und trat rasch zu, bevor er davonkriechen konnte. »Mag sein, dass vor Urzeiten einer unserer Vorfahren mit einem der Vorfahren des Bergvolkes ein kleines Techtelmechtel hatte. Aber es ist nichts geschehen, sag ich dir! Dieses Gerücht haftet seit Ewigkeiten an uns wie ein Fnarz am Fnorz.« Brisly warf sich stolz in die Brust. »Ich bin ein Gnom! Das ehrenwerte Mitglied einer elitären und ganz besonderen Sippschaft, das auf eine elend lange Ahnenreihe zurückblicken kann ...«
»Was macht eure Sippe denn so besonders, wenn ich fragen darf?«
»Man erzählte mir, dass Menschen besondere Begabungen hätten, aber auch ein wenig begriffsstutzig seien. Die Gerüchte stimmen also.«
»Nun?«
»Wie ich bereits sagte: Wir besitzen die Begabung, die Gestalt anderer Wesen zu verändern und an Gegebenheiten anzupassen. Meine Eltern, meine Geschwister und all die Tausende Cousins, Cousinen, Onkel, Tanten, Schwippschwäger, Halbgeschwister, Neffen und Nichten gehören der Seitenlinie der Physio-Gnome an. Unsere Gabe nennt sich demzufolge Physio-Gnomie.«
Finn schluckte hart und akzeptierte die Erklärung ohne weiteres Widerwort. Jede Diskussion hätte weitere Fragen aufgeworfen, denen er tunlichst ausweichen wollte.
Brisly führte ihn zum Tor eines ungewöhnlich geformten Gebäudes. Es ähnelte einem in zwei Hälften geschnittenen Ei. Wächter mit langen, über den Boden schleifenden Nasenrüsseln erwarteten ihn und kreuzten lange Lanzen vor dem Eingang.
»Ich bin gekommen, um der Ehrenwerten Bet- und Bettschwester Sikhiom eine Nachricht von der Dame Gystia zu
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