Schattenlord 4 - Der Fluch des Seelenfängers
eingesperrt, und zweitens sind wir Geiseln, keine normalen Gefangenen«, sagte Luca, der genug Zeit gehabt hatte, sich jedes Wort zurechtzulegen. »Ich bin Luca, und das ist Sandra, meine Schwester. Und wer bist du?«
»Ich bin ... Das geht euch gar nichts an, ihr frechen Jungheringe, klar?«
»Aber einen Namen wirst du doch wohl haben. Wie sollen wir dich anreden?«
»Ach so! Ich bin Piet der Maat, ihr sagt also Herr Maat zu mir, und das ganz höflich, verstanden?«
»Piet.« Luca musste sich zurückhalten, um nicht herauszuplatzen. Das passte perfekt zur feuchten, schnaufenden Aussprache des Walrossartigen. »Was sollen wir tun?«
»Was Kinder eben so tun an Bord eines Schiffes: das Deck schrubben, putzen, das Essen auftragen. Der Schiffsjunge wird es euch schon sagen. Er freut sich richtig auf euch.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Sandra richtete sich auf. »Bin ich etwa die einzige Frau an Bord?«
»Du bist das einzige Mädchen an Bord«, prustete Piet. »Bei den Sklaven gibt es ein paar Frauen, aber in der Mannschaft natürlich nicht.« Er wandte sich um und winkte. »Los jetzt, oder ich muss die Neunschwänzige holen.«
Die Geschwister folgten dem Maat, der sich auf kurzen Beinen die Treppe hinaufmühte. Kaum oben angekommen, trat ein vierschrötiger Mann auf sie zu und befahl ihnen, die Hände vorzustrecken. Zu ihrem Erstaunen bekamen sie zwei dicke goldene Armreifen an beide Handgelenke.
»Hübsch, nicht wahr?«, grinste der Mann und entblößte dabei zwei Zahnreihen Diamantzähne. »Ja, ich bin ein guter Goldschmied.«
Sandra betrachtete die Armreifen bewundernd. »Warum bekommen wir sie?« Sie schien fast schon versöhnt.
»Alle Sklaven bekommen Gold, so viel sind sie uns wert.« Ein Junge trat hinzu, mager und blass, mit filzigen braunen Haaren und großen Füßen in ausgelatschten Schuhen. »Ihr tut ab jetzt, was ich sage, und wenn ihr nicht gehorcht, setzt es Hiebe und nicht zu knapp.«
Sandra sah auf ihn hinab. »Du bist gerade so alt wie mein Bruder«, sagte sie verächtlich. »Du hast mir gar nichts zu sagen!«
Wut funkelte in den blassblauen Augen des Jungen auf. »Pass bloß auf!«, zischte er
Luca fuhr dazwischen: »Nein, du passt auf, wir sind nämlich Geiseln, keine Sklaven! Alberich will nicht dass uns etwas zustößt!«
»Du riskierst ja 'ne ganz schön dicke Lippe, Aalfurz« sagte der Junge und gab Luca eine Ohrfeige. Als Sandra dazwischengehen wollte, zückte er ein Messer und zielte mit der Spitze auf ihre Nase. »Aufpassen!«, warnte er. Der Ausdruck seiner Augen zeigte, dass er es bitterernst meinte. In diesem Moment war er ganz und gar kein Kind mehr. Sandra erstarrte zur Säule.
»A... aber Alberich ...«, stotterte Luca.
»Der ist weit weg, und er kommt niemals an das Schiff ran«, knurrte der Schiffsjunge. »Wir haben hier unsere eigenen Regeln und Gesetze. Und jetzt kommt mit!«
Unter dem dröhnenden Gelächter des Maats und des Goldschmieds folgten die Geschwister mit hängenden Köpfen dem vor ihnen herstolzierenden Schiffsjungen.
Für den Moment waren sie eingeschüchtert; Luca flüsterte seiner Schwester zu, erst einmal »die Lage zu sondieren«, bevor sie weitere Schritte unternahmen.
Und die Lage sah alles andere als rosig aus. Aswig, wie sich der Schiffsjunge nannte, war begeistert über die Gelegenheit, alle Arbeiten delegieren zu können. Er scheuchte Luca und Sandra herum und beschäftigte sie pausenlos. Keine der Arbeiten war angenehm, die meiste Zeit hatten sie nur mit Dreck zu tun. Allerdings hätte es noch schlimmer kommen können, wenn sie sahen, welche Arbeiten die Sklaven verrichten mussten.
Eine kleine Abwechslung gab es nur, wenn sie in der Offiziersmesse auftrugen - abgesehen vom protestierenden Magen, weil sie nichts von dem Essen erhielten, das sie dorthin brachten. Braten, Soße, Beilagen, Süßigkeiten ... Mannschaft und Sklaven erhielten mittags und abends alle denselben täglichen Eintopf. Immerhin war er stärkend und nahezu frisch zubereitet.
In der Offiziersmesse war stets der Steuermann anwesend, dazu weitere Männer, die kaum weniger unheimlich und schwergewichtig waren wie er. Sie wurden nicht vorgestellt und waren tagsüber kaum an Deck zu erblicken - kein Wunder, die Geschwister hatten meistens »unten« zu tun.
Alle trugen dunkle Kleidung und Dreispitze, zudem waren sie als Einzige an Bord schwer bewaffnet. An die anderen wurden Waffen nur bei Verlassen des Schiffes ausgegeben, die sie bei Rückkehr sofort wieder abgeben
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