Schattenlord 4 - Der Fluch des Seelenfängers
Sockel, an dem sie befestigt gewesen war, war noch vorhanden. Doch das musste schon vor langer Zeit geschehen sein.
»Gab es dieses Schiff schon immer in Innistìr?«, fragte Luca einmal den Schiffsjungen.
»Es kam mit Alberich«, antwortete Aswig. »Man sagt, dass Kramp damals schon mit an Bord gewesen war, aber ansonsten keiner von uns. Jedenfalls ist er am längsten dabei. Niemand weiß, woher sie gekommen sind, aber die schwarzen Segel brachten den zweiten Umsturz, und wir können froh sein, dass wir hier oben sind und außer Gefahr. Ihr solltet euch glücklich schätzen, dass ihr hinter den Kanonen steht und nicht davor.«
Oh ja, bewaffnet war die Galeone gut. Luca war es noch nicht gelungen, die Geschützluken durchzuzählen, aber bis dreißig war er schon gekommen. Wer wollte dieser fliegenden Festung widerstehen?
Ab und zu versuchten sie eine Unterhaltung mit den Sklaven, doch die wirkten so stumpf und gleichgültig, dass sie meistens nicht einmal ein Grunzen von sich gaben als Zeichen, dass sie zwar gehört, aber nicht verstanden hatten oder keine Lust zu antworten.
Es war durchaus möglich, dass Mannschaft und Sklaven die Legende vom Fliegenden Holländer aus der Menschenwelt gar nicht kannten. Abgesehen von Kramp dem Knickrigen blieb keiner lange an Bord. Der Kapitän ließ die Mannschaft regelmäßig austauschen, auch die Sklaven.
»Wenn er sie verbraucht hat«, hieß es. »Dann bringen sie keinen Nutzen mehr, erhalten ihren Lohn und werden abgesetzt. Die Sklaven werden weiterverkauft.«
»Nicht etwa getötet?«, hakte Luca nach.
»Auf diesem Schiff herrscht ein hoher Kodex«, lautete die Antwort. »Da wird niemand betrogen oder ermordet, auch nicht die Sklaven.«
Die Sklaven wurden auf bestimmten Märkten erstanden; zumeist kannten sie gar kein anderes Leben und verrichteten ihre Aufgaben gleichmütig, ohne darüber nachzudenken. Ihnen schien es egal zu sein, ob sie sich hoch in der Luft befanden oder auf dem Boden, sie hatten niemals eine Möglichkeit, selbst zu entscheiden. Alle trugen sie goldene Ketten.
Den Grund dafür erfuhren die Geschwister nicht, auch hier gab es nur eine lapidare Antwort mit einem Fingerzeig auf ihre eigenen Armbänder: »Ihr werdet es schon merken.«
Ab und zu senkte sich der Seelenfänger über einem Gebiet herab, und die Mannschaft ging auf Raubzug. »Vorräte bunkern«, nannten sie es; das stimmte auch manchmal, doch nicht immer. Nicht selten gingen sie auf Seelenfang, wenngleich die Geschwister nicht herausfanden, was genau das zu bedeuten hatte.
Wenn Luca und Sandra gehofft hatten, bei einer solchen Gelegenheit, wenn der Boden nah war, fliehen zu können, sahen sie sich getäuscht, und der Zweck ihres Schmucks offenbarte sich. Die goldenen Armbänder hinderten sie daran! Sobald sie versuchten, über die Reling zu klettern, wurden ihnen die Arme von unsichtbarer Kraft weggerissen, und sie wurden wie von unsichtbarer Schnur zur Mitte des Decks zurückgezogen und dort zu Boden geworfen. Unter dem Hohn aller anderen.
Doch das war noch nicht das Schlimmste. Plötzlich stampfte Kramp der Knickrige heran, in seiner linken Pranke hielt er einen mageren Sklaven, der jämmerlich um Vergebung bettelte.
»Dieser hier wollte sich besser stellen als ihr«, dröhnte seine Stimme übers Deck, und alle hielten inne. »Wollte essen wie ein Offizier. Hat er sich das verdient?«
»Nein!«, antworteten die Matrosen, die den selben Eintopf wie die Sklaven bekamen.
»Hat er gearbeitet wie wir? Verantwortung getragen?«
»Nein!« Diesmal riefen alle, auch die Sklaven.
»Wieso hat er das dann getan?« Kramp hielt den verzweifelten Mann vor sein Gesicht und schüttelte ihn wie einen kleinen Hund. »Waren wir etwa schlecht zu dir, du Dieb? So vergiltst du unsere Fürsorge?«
»Nein, nein!«, heulte der Sklave. »Es war doch nur ein Stück Brotrinde, das auf dem Teller lag! Ein Rest! Es geschah, schwups, einfach so, bevor ich recht nachgedacht habe!«
»Hattest du die Erlaubnis dazu?«
»Nein, Herr! Bitte vergebt mir, ich flehe Euch an! Ich werde es nie wieder tun!«
Kramp nickte. »Ganz recht«, sagte er. »Das wirst du nicht.« Er befahl zwei Matrosen, den Mann an den Großmast zu binden.
Sandra wurde aschfahl. »Was hat er jetzt vor?«
»Wir sind Kinder!«, rief Luca. »Das dürfen wir uns nicht ansehen ...«
»Seid ruhig!«, fuhr Piet sie an. »Ihr werdet zusehen wie alle anderen auch und aus dem Beispiel lernen!«
Beide mussten in diesem Moment sicherlich an die
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