Schattenlord 4 - Der Fluch des Seelenfängers
dachte sie. Wie ein Tier, ein Pferd, bin ich blindlings losgestürmt, ohne zu wissen, wohin. Hauptsache weg. Und dabei bin ich immer noch da!
Immerhin würde sie sich nicht für immer hier unten verirren, die Soldaten würden nicht aufhören, nach ihnen zu suchen, und sie irgendwann auch aufspüren. Die Gänge waren alle beleuchtet - wenigstens etwas, denn wie hätte sie sich jemals in Finsternis zurechtfinden wollen? - und wurden damit früher oder später benutzt.
Also gut, das war eine Option. Wenn sie nicht nach draußen fand, würde sie sich ergeben. Wahrscheinlich folgte dann etwas Unangenehmes, aber letztlich würde sie wieder im Verlies landen. Und was dann? Dasselbe von vorn? Wohl kaum. Die Soldaten würden ihnen das nicht einfach so vergeben. Vermutlich würde sie noch dazu angekettet. War es das wert?
Ja, solange eine fünfzigprozentige Chance bestand, dass sie durchkam.
Angenommen, sie gelangte bis nach oben. Konnte sie es aus dem Palast schaffen? Eine kleine, aber berechtigte Chance besteht. Das bedeutet: Ich muss nach oben, koste es, was es wolle. Ich achte jetzt auch nicht mehr auf die anderen, ich kann sie ohnehin nicht mehr finden. Wir haben zwar Zusammenhalt geschworen, aber hier unten lässt sich das nicht aufrechterhalten. Zuerst muss jeder zusehen, dass er rauskommt, und dann kann man von draußen aus organisieren, wie der Rest, der es nicht geschafft hat, befreit werden kann.
Guter Plan. Wenn sie nur wüsste, wie sie ihn so schnell wie möglich umsetzen konnte!
Inzwischen hatte sie sich wieder etwas erholt, der Schweiß war getrocknet, und sie verfiel in ihren gewohnten Jogging-Trab. Ruhig atmen, ein, aus, Fuß vor Fuß setzen. Sie konnte zehn Kilometer in diesem Tempo durchhalten, wenn es sein musste. Eine Weile konnte sie also laufen und notfalls auch wieder vor Verfolgern fliehen.
Angela schoss ein eiskalter Stich in die Nieren, und sie machte einen Satz nach vorn, als sie einen grausigen Schrei hörte. Keiner ihrer Gefährten, das war nicht menschlich. Ein Tier, das auf Beute lauerte? Sie bereits auserkoren hatte?
Sie reduzierte das Tempo zum Schritt und sah sich um. Von wo war der Schrei gekommen? Es war nichts zu sehen, auch kein weiteres Geräusch außer ihren eigenen Schritten zu hören. Der Gang lag still und verlassen da, die Fackeln brannten zufrieden mit ruhiger Flamme.
Sich den Nacken reibend, ging sie weiter, kam an die nächste Kreuzung, und zum ersten Mal seit der Flucht dachte sie nach, welchen Weg sie wählen sollte.
Doch die Entscheidung wurde ihr abgenommen. Sie hörte rasselnde Metallgeräusche von links, die ihr inzwischen nur zu vertraut waren. Und rechts ... wurde der Gang weiter hinten dunkel, also blieb nur geradeaus. Sie sicherte eilig in alle Richtungen, dann überquerte sie die gefährliche Stelle und lief weiter.
Und sprang gerade noch rechtzeitig in eine natürliche Nische, die wohl nur auf sie und diesen Moment gewartet hatte. Die Nische lag im Schatten. Wer nicht direkt davorstand, würde nicht gleich erkennen, dass sich ein lebendes, heftig atmendes Wesen eng an die Felsen drückte und hoffte, nicht entdeckt zu werden.
Die Nische war pures Glück, also kam sie vielleicht noch einmal davon? Es wäre ein Hohn, wenn sie trotzdem entdeckt würde ...
Und da waren sie auch schon; zwei Soldaten, von derselben Art wie ihre Wächter, die gemächlich und entspannt in eine Unterhaltung vertieft den Gang entlangkamen.
»Hast du gehört, dass drei Trolle abgehauen sind?«
»Ja, passiert nicht zum ersten Mal. Die sind völlig unzuverlässig. Zuerst willigen sie ein, dann legst du ihnen die Ketten an, damit sie nicht etwa auf den Gedanken kommen, dich als Zwischenmahlzeit zu verzehren, und dann machen sie sich auf einmal davon. Absolut unberechenbar! Keine Ahnung, was der Herr von denen will.«
»Wenn sie willig sind, sind sie recht brauchbar. Groß und kräftig und ziemlich dumm. Aber diese drei müssen wir wohl abschreiben.«
»Und was höre ich da eigentlich von einem Gefangenenausbruch?«
»Geiseln. Das sind keine gewöhnlichen Gefangenen. Überall herrscht Alarm, und alle suchen ganz hektisch nach ihnen, aber die sind überall verstreut.«
»Willst du damit sagen, es ist noch keiner von denen wieder eingefangen?«
»Keine Ahnung. Sollen wir unsere Hilfe anbieten?«
»Ja, beim Zuschauen.«
Die beiden lachten; sie hatten Angela inzwischen passiert und setzten ihren Weg fort, ohne sie bemerkt zu haben. Sie hatten sich gar nicht für die Umgebung
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