Schattenlord 4 - Der Fluch des Seelenfängers
Geheimgang war schließlich dazu gedacht, im Geheimen benutzt zu werden, also führte er kaum an einen öffentlichen Ort. Sondern eher an einen abgeschiedenen, den nicht so viele besuchten.
Eine Bibliothek etwa.
Ja, das musste es sein.
Sie wischte sich den Schweiß ab, beruhigte ihren Atem, glättete die Kleidung. Dann schob sie den Riegel zurück, zog lautlos die Tür zu sich heran und schlüpfte durch.
Und blieb zur Salzsäule erstarrt stehen.
Sie stand in Alberichs Schlaf gemach.
11
Der Hafen
D ie Spur des schwarzen Schiffes war einfach zu verfolgen: Es hinterließ eine Schneise der Verwüstung.
Lauras Gruppe bekam schon vor dieser Erkenntnis das Gefühl einer bösen Vorahnung, als ihr auf der gut ausgebauten Straße viele Leute entgegenkamen. Zuerst nur von Weitem als verschwommenes dunkles Band erkennbar, wuchs daraus ein langer Zug Hunderter Menschen, Elfen und anderer Wesen, die mit Sack und Pack auf der Flucht waren.
Frauen mit weinenden Säuglingen auf dem Arm, Männer mit verzweifeltem Gesichtsausdruck, der besagte, dass sie alles verloren hatten, Jugendliche, die sich mit Handkarren und schwerem Gepäck abmühten oder ihre jüngeren Geschwister beisammenhielten, und Alte, die sich mühsam zu Fuß voranschleppen mussten, wenn sie keinen Platz auf einem der wenigen Karren bekommen hatten.
»Geht nicht weiter!«, sagten die Vordersten zu Laura und den Männern, sobald sie in Hörweite waren. »Dort hinten gibt es nichts mehr.«
»Aber wo wollt ihr hin?«, fragte Laura.
»Zu einer der freien Städte, die es noch gibt und die nicht gefallen sind«, lautete die Antwort. »Wir gehen alle zur großen Kreuzung und werden dann jeder für sich entscheiden, welche Richtung wir einschlagen.«
»Es sind Truppen von Alberich unterwegs ...«
»Die sind überall. Man kann ihnen nicht entkommen.«
»Gebt die Hoffnung nicht auf!«, rief Laura ihnen nach. »Es wird zu einem guten Ende kommen!«
»Dein Wort im Ohr der Schöpferin!«, kam es zurück. »Sie hat uns im Stich gelassen.«
Ein anderer fügte hinzu: »Selbst unter Sinenomens Tyrannei ging es uns besser.«
Sie gingen langsam weiter, wurden von den meisten Flüchtlingen mit müden, auch abweisenden Blicken betrachtet. Manche erklärten sie für verrückt, weil sie nichts zu erwarten hatten, wenn sie weitergingen.
»Wer hat euch das angetan?«, fragte Laura einen Mann auf einem Ochsenkarren.
»Der Seelenfänger«, lautete die Antwort. »So macht er es häufig, bevor er vor Anker geht. Wir hörten bisher immer nur davon, und nun hat es uns erwischt.«
Das Reich war groß, sie würden alle wieder einen Platz finden. Doch das würde nichts daran ändern, dass sie entwurzelt worden waren. Dass sie neu anfangen mussten, unter schlechteren Bedingungen, womöglich noch ausgegrenzt wurden.
»Der Krieg ist schon da«, sagte Norbert.
»Es ist bizarr«, äußerte Maurice. »Da strandet man im Paradies, und dabei ist es die Hölle.«
Drei Stunden später blickten sie auf ein Tal hinab, und nun wurde ersichtlich, wovon die Flüchtlinge gesprochen hatten. Rauchende Höfe, eine vollends zerstörte Kleinstadt. Sogar das Umland war durch Brandstiftung zerstört worden. Es würde Jahre dauern, bis der Boden sich wieder erholt hatte und Ertrag bringen konnte. Nicht einmal das gehaltvolle Wasser konnte da noch helfen.
»Ich schlage vor, wir wandern heute so lange, bis wir diesen Schrecken hinter uns haben«, sagte Norbert. Allmählich gewöhnten sie sich alle an die stundenlangen Märsche, doch Pausen waren unerlässlich. Dass Norbert so lange durchhalten wollte, besagte viel. Selbst ihm schien der Anblick an die Nieren zu gehen.
»Das sollte ohnehin ein Ansporn für uns sein«, brummte Jack. »Und Hoffnung darauf spenden, dass wir dem Schiff näher kommen.«
»Maurice, Norbert, ihr bestimmt das Tempo«, schlug Felix vor. »Sehen wir zu, dass wir das hinter uns bringen.«
Sie waren froh über ihre gute Ausrüstung, denn der Boden dampfte und war an manchen Stellen noch sehr heiß. Sie mussten sich Tücher vor Mund und Nase binden, weil Schwelbrände, Rauch und die von allen möglichen beißenden Gerüchen durchsetzte Luft die Lungen reizten. Mit ungeschützten, tränenden Augen bewegten sie sich durch das zerstörte Land. Die Einwohner waren bereits alle fort, nur hier und da kläffte ein zurückgelassener Hund oder war der Schrei eines einsamen Esels zu hören. Geierartige Vögel kreisten hoch oben und warteten auf Abkühlung, um nach Beute zu
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