Schattenlord 4 - Der Fluch des Seelenfängers
tropften.
Es schüttelte Laura durch und durch, ihre Finger wurden klamm, und sie sah ihren eigenen Atem als Nebel von ihr weichen.
»Holt sie von da zurück!«, erklang Milts besorgte Stimme. Er und die anderen standen jenseits der Grenze.
»Es geht schon«, versuchte sie ihn zu beruhigen, doch das erschreckte sie nur noch mehr. Sie sah Milt im hellen, warmen Sonnenlicht stehen, umgeben von leuchtenden Farben. Ein Abgrund schien sie voneinander zu trennen.
»Du schaffst das«, sagte Cwym. »Bleib gelassen und konzentriere dich. Diese Auswirkungen sind nur eine Illusion, sie haben keine echten Folgen für dich.«
Das sagte er leicht, während Laura immer mehr zum Eiszapfen wurde.
Anstatt, dass sie Energie aufnahm, schien sie aus ihr zu fließen. Keine Freude gab es hier mehr, keine guten Gedanken ...
»Halt!«, rief Bathú plötzlich, und Laura blieb sofort stehen. So gut trainiert war sie inzwischen. »Da ist etwas.«
Laura sah sich suchend um, aber sie konnte nichts entdecken.
»Hast du es gesehen, Cwym? Ein kurzes Aufblitzen. Da ist ein Schloss! Und das bedeutet, da gibt es eine Tür, und die führt hinter die Mauer, wie sollte es sonst sein?«
»Geh einen Schritt zurück, Laura!«, befahl Bohnenstange.
Sie gehorchte.
»Und jetzt«, wies Glatzkopf als Nächstes an, »streck den rechten Arm nach vorn aus. Spreize die Finger, beweg den Arm langsam von oben nach unten und zurück.«
Laura kam der Aufforderung nach und verharrte, als Bathú erneut schrie: »Stopp!«
Triumphierend deutete er zu ihr. »Siehst du es?«
Cwym nickte. »Möchtest du ...?«
»Aber gern.« Mit einem Schritt überwand Glatzkopf die Barriere und teilte nun Lauras Welt. »Ganz schön unangenehm hier«, stellte er fest und zog die Schultern hoch. »Aber gleich ist es geschafft.«
Laura hatte keine Ahnung, was genau er vorhatte denn sie sah nach wie vor nichts. Auf der Höhe ihrer Hand griff Bathú an die Felswand.
»Du kannst dich jetzt entspannen und zu den anderen gehen«, sagte er. »Den Rest schaffe ich allein.«
Nichts lieber als das. Laura kehrte zitternd ins helle Licht zurück. Milt umarmte sie von hinten und drückte sie an sich. »Komm her, ich wärme dich ein bisschen auf.«
Anscheinend hatte er seine Verlegenheit überwunden. Das war ihr auch recht. Die anderen verschwendeten keinen Blick auf sie, sondern beobachteten lieber Bathú. Aha, also so offensichtlich war es also gewesen, Finn hatte recht gehabt. Dann war es umso mehr Zeit, alberne Versteckspiele aufzugeben.
Bathú hielt die eine Hand an den Fels gedrückt, mit der anderen fummelte er an irgendetwas Unsichtbarem herum. Dann gab es ein schnappendes Geräusch, und ein Stück Fels, groß genug als Durchgang, wich zur Seite. Dahinter wurde ein kurzer Gang mit Blick auf eine blühende Landschaft sichtbar.
»Kompetenter Bursche!«, lobte Norbert. »Wer sagt da etwas gegen Elfen?«
»Niemand, Sterblicher.« Bathú klopfte ihm grinsend auf die Schulter. »Die Luft ist rein, wie es so schön bei euch heißt - also wenn du möchtest ...« Einladend wies er auf den Durchgang.
Der Schweizer Autor ließ sich das nicht zweimal sagen. Hoch erhobenen Hauptes schritt er wie Kolumbus hindurch, und die anderen folgten ihm.
Eine liebliche Landschaft in einem Tal erwartete sie auf der anderen Seite - und tief darin eingebettet ein riesiges Gewässer. Genau wie sie es vermutet hatten.
Sie mussten nur leicht den Blick heben, um den einzigen finsteren Makel in dieser Idylle zu entdecken, einen Schandfleck in all der Schönheit: die pechschwarze Galeone, umgeben von wallenden, pulvrigen Rußwolken aus sichtbar gewordener Tücke, Bosheit und Grausamkeit.
Über dem Gewässer verharrte das Schiff mit eingeholten Segeln, ausgeworfener Landungsleine und ausgelegter Planke, die auf einem Steg lag. Und an dem Steg hing ein Land dran.
Eine Insel schwebte dort oben, die von unten aussah wie ein Korallenatoll, auf dem Gras, palmenartige Bäume und Büsche wuchsen und ein Dorf aufgebaut war, mit bunt bemalten, verschachtelten, mehrstöckigen Holzhäusern, die zum Teil auf Stelzen standen und nicht nur vom Boden, sondern auch mittels Hängebrücken und Stegen in verschiedenen Etagen miteinander verbunden waren.
»Er ist es«, hauchte Laura. »Wir haben ihn gefunden ...«
Hier, inmitten des schwebenden Nichts, hatte der Fliegende Holländer seinen Fluch umgangen und angelegt.
12
Katz und Maus
A ngelas erster Impuls war, sofort wieder in die Sicherheit des Geheimgangs
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