Schattenlord 4 - Der Fluch des Seelenfängers
zurückzuspringen, den Riegel vorzuschieben und zu verschwinden.
Doch es war bereits zu spät. Und außerdem gehorchten ihre Muskeln nicht mehr.
Der Raum war groß und wohnlich eingerichtet. Neben einem gewaltigen Himmelbett und einem großen Schrank sowie einigen Truhen und Kommoden stand darin ein Esstisch mit zwei bequem aussehenden Stühlen. An einer Wand befand sich ein großer, mit Fresken verzierter Kamin. Der Boden war mit weichen Teppichen ausgelegt, an den Wänden hingen Gobelins, auf denen Motive aus der nordischen Mythologie abgebildet waren. Eine Wand bestand durchgehend aus einer bis zum Boden reichenden Fensterfront, in der Mitte eine Doppeltür, deren Flügel weit geöffnet waren. Sie führte auf eine große Balkonterrasse hinaus, durch die milde Luft hereinströmte.
So seltsam das auch war, Angela nahm das Ambiente innerhalb einer Sekunde mit geschulten Sinnen auf, sie konnte gar nicht anders, während sie gleichzeitig vor Schrecken kaum atmen konnte.
Alberich hatte mit dem Rücken zu ihr vor dem Tisch gestanden und war dabei gewesen, sich einen Schlummertrunk einzuschenken. Er war nur noch mit Gürtel und Hose bekleidet, sein Oberkörper war nackt und glänzte blass im milden Kerzenschein.
In dem Moment, als Angela in den Raum trat, musste der Drachenelf den Luftzug gespürt haben, denn er setzte den Krug ab und drehte sich um. Aber nicht schnell, sondern ruhig, als wolle er dem Eindringling Gelegenheit geben, nach einer Erklärung für seine Anwesenheit zu suchen.
In seinen raubtierhaften, bernsteinfarbenen Augen flitzte beim Anblick Angelas kurz etwas auf, dann verzog seine Miene sich zu einem amüsierten Lächeln.
»Siehe da, welch unerwartete Heimsuchung zu nächtlicher Stunde«, sagte er mit seiner angenehmen Stimme. »Was für ein Glück für mich, dass ich gerade eingetroffen bin, denn normalerweise arbeite ich zu dieser Stunde.«
Angela konnte nicht antworten, sie konnte nur heftig atmen. Nach wie vor war sie nicht in der Lage, auch nur einen Muskel zu rühren.
»Bist du die Einzige? Nein, sicher nicht. Gewiss seid ihr alle geflohen.« Er ging zu seinem Bett, neben dem ein breites Klingelband aus Samt von der Decke herabhing, und zog einmal daran.
Wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür, und ein Diener trat ein. Er war wie ein Kammerherr gekleidet, von großer Statur und blasiertem Gesichtsausdruck. Seine Stimme aber klang keineswegs herablassend, sondern eher devot.
»Was kann ich für Euch tun, Herr?«
»Pickwick, lass etwas für meinen späten Besuch auftragen!«, befahl Alberich und wies auf Angela.
Die Augen des Kammerherrn weiteten sich leicht, als er den ungebetenen Gast erblickte. »Bitte um Vergebung, Herr ...«, setzte er an, doch der Drachenelf winkte ab.
»Das ist nicht deine Schuld, Pickwick. Stell etwas zusammen, was einer Lady gefallen mag, die noch nicht zu Abend gegessen hat, und bring es unverzüglich.«
»Gewiss, Herr.« Pickwick sah zu Angela. »Hat die Lady spezielle Wünsche?«
Sie war immer noch wie gelähmt, aber ihre Stimme gehorchte ihr endlich wieder. »Nein danke«, antwortete sie und kam sich wie im falschen Film vor. »Ich verlasse mich auf Euer Einfühlungsvermögen, Herr Pickwick.«
»Wie Ihr wünscht, Mylady ... und lasst bitte das Herr weg, wenn Ihr gestattet, das steht mir nicht zu.« Er verneigte sich leicht und wandte sich wieder seinem Gebieter zu. »Sonst noch etwas, Erlauchter?«
Alberichs leutselige Miene wurde auf einmal hart. »Allerdings, mein Freund. Mich würde interessieren, wieso ich über den Ausbruch der Geiseln nicht informiert wurde und was seither getan wird, um sie wieder einzufangen.«
»Ich werde mich kundig machen, Herr, und Euch Bericht erstatten.« Damit zog sich der Kammerherr zurück.
Alberichs Stimmung wandelte sich augenblicklich wieder, als er sich Angela zuwandte. Er machte keinerlei Anstalten, sich zu bekleiden. Sein Körper war perfekt modelliert, die Muskeln besaßen genau die richtige Wölbung, und seine Brust war straff und glatt. Er sah nicht älter aus als dreißig; ungewöhnlich für diese Welt waren seine kurzen schwarzen Haare mit der ins Gesicht fallenden schmalen Strähne, die ihm ein dämonisches Aussehen verlieh, und der sorgfältig ausrasierte Dreitagebart. Zusammen mit der Drachentätowierung rechts am Hals wirkte er so modern wie ein Mensch aus Angelas Welt ... abgesehen von seinen leicht spitzen Ohren.
Barfüßig näherte er sich der Frau. »Hast du Angst?«
»Ich wäre dumm,
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