Schattenlord 7 - Das blaue Mal
ihren Knien drehte sie sich im Kreis und murmelte sinnlos klingende Worte, die wohl an die einzelnen Gottheiten ihres Glaubens gerichtet waren.
Zoe tat gut daran, ruhig zu bleiben und ihre Verachtung für diese Rituale nicht offen zur Schau zu stellen. Extevirra verstand keinen Spaß. Sie verfügte im Oberpalast über fast ebenso viel Einfluss wie Lirla, und sie würde nicht zögern, die Regentin bei den Priestern anzuschwärzen.
Zoe wartete geduldig, bis ihre Begleiterin das Ritual beendet hatte. Erst dann wagte sie es wieder, sich zu bewegen. Sie legte die Arme übers Geländer und starrte gedankenlos ins Nichts. Sie wollte für einige Sekunden allein sein mit sich und ihren Gedanken.
Zwei der Wächterinnen platzierten sich links und rechts von ihr, bereit, sie zu greifen, sollte sie einen Verzweiflungssprung wagen.
»Keine Sorge«, sagte Zoe und lächelte freundlich, ohne damit etwas zu bewirken. Die beiden Frauen, sehnig und muskulös, musterten sie weiterhin aufmerksam und von oben herab.
Zoe tat so, als würde sie sich nicht weiter um ihre Bewacherinnen kümmern. Sie starrte ins Blaue. Genoss das Gefühl ungewohnter Wärme auf ihrem Körper. Und diesen Hauch von Freiheit, den sie so sehr vermisst hatte.
Etwas erregte ihre Aufmerksamkeit an der Kraterwand, links von ihr. Eine Art Unruhe.
Oder?
Dann war nichts mehr zu sehen. Keine Bewegung, nichts Ungewöhnliches. Alles war so, wie es sein sollte: Felsgestein, da und dort einige Moosflecken und verkrüppeltes Gewächs, dessen Wurzelwerk sich in Spalten festklammerte.
»Wir machen weiter mit dem Unterricht«, sagte Extevirra. Sie war so nahe bei ihr, dass Zoe zusammenzuckte.
»Gib mir noch ein wenig Zeit.« Sie drehte sich um. »Die frische Luft hilft mir, klarer im Kopf zu werden, und je besser es mir geht, desto rascher lerne ich.«
Die Frau musterte sie misstrauisch. »Na schön«, sagte sie und wandte sich abrupt ab, um mit dem Blick ins Kraterinnere weitere Gebetsrituale zu vollziehen.
Zoe kümmerte sich nicht weiter um sie. Die Maske machte sich eben wieder durch ein unbestimmtes Drängen und ein erhitzendes Gefühl bemerkbar. Sie richtete Zoes Aufmerksamkeit zurück auf den Fels. Wo hatte sie bloß die Bewegung gesehen?
Es fiel ihr schwer, sich anhand eines braunroten Einerleis an erkaltetem Lavagestein zu orientieren - doch es gelang ihr. Zoe erkannte einen markanten Vertikalriss, einem Kamin nicht unähnlich, in dessen unmittelbarer Nähe sie das ... das ... Wesen bemerkt hatte.
Da war es wieder! Es stürmte die Wand hoch, als gäbe es keine Schwerkraft, elegant und ohne auch nur einen einzigen Fehltritt zu tun. Es war breit und flach wie ein zweidimensionales Gebilde. Der dreieckige Kopf ähnelte dem einer Schildkröte, und es trug sogar einen gemusterten Panzer über seinem Körper, aus dem kurze, wuselige Gliedmaßen hervorragten.
Eine kletternde und rennende Schildkröte!, dachte Zoe. Eine Laufkröte.
Fasziniert beobachtete sie das Geschöpf, ohne sich in der Gegenwart der nach wie vor misstrauischen Wächterinnen etwas anmerken zu lassen. Das Tier bewegte sich einige Meter die Wand hoch, verharrte dann in Starre und wurde dank der tarnenden Maserung seines Panzers unsichtbar, um dann weiterzuklettern, oder, besser gesagt, weiterzulaufen.
Zoe spürte, dass die Laufkröte etwas von ihr wollte. Sie fühlte sich zu dem Tier hingezogen, die Maske allem Anschein nach ebenso. Sobald sie es aus den Augen verlor, half ihr die Sgàile aus und lenkte ihre Aufmerksamkeit gezielt auf den richtigen Ort.
»Wir gehen!«, sagte Extevirra mit einem Ton, der keinen Widerstand duldete.
»Ja. Sofort.« Lass dir etwas einfallen, Zoe! Die Laufkröte nimmt womöglich allein deinetwegen den beschwerlichen Aufstieg in Angriff. Du musst Extevirra vertrösten, bis sie dich erreicht hat und du weißt, was sie von dir will!
Sie stöhnte und tat so, als gäben die Beine unter ihr nach. Scheinbar haltlos fiel sie auf die Knie, stieß einen Schrei aus, begann zu zittern, streckte die Arme weit von sich, schnaufte laut.
Die Wächterinnen handelten, ohne zu zögern. Sie packten sie, legten sie flach auf den Boden, fixierten die Hände. Zoe schrie lauter und lauter. Schüttelte den Kopf. Rief ihr schauspielerisches Können ab und gab vor, einen Anfall zu erleiden. »Die Maske«, schrie sie, »sie tut so weh! Nehmt sie mir ab, bitte, bitte, nehmt sie mir ab!«
Zoe kämpfte mit all ihrer Kraft gegen die Fixierung durch die Wächterinnen. Sie überraschte die beiden
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