Schattenmacht
befanden sich nur drei Männer, obwohl er fünfzig Personen Platz bot. Ein langer Tisch aus schwarz glänzendem Holz erstreckte sich durch den ganzen Raum, und um ihn herum standen in regelmäßigen Abständen schwarze Ledersessel. Zwei der Männer saßen bereits und blätterten in Papieren, um sich auf die Konferenz vorzubereiten, die gleich beginnen sollte. Der dritte stand an einem der Panoramafenster und genoss die Aussicht.
The Nail war das Hauptquartier eines weltweiten Konzerns mit dem Namen Nightrise. Der Mann am Fenster war sein Vorsitzender.
Anders als das neue Bürogebäude hatte er keinen Namen – oder wenn er einen hatte, benutzte er ihn nie. Er war einfach der Vorsitzende oder, wenn er direkt angesprochen wurde, Herr Vorsitzender. Er war ein Mann in den Sechzigern, doch er hatte mit mehreren plastischen Operationen versucht, sein wahres Alter zu verbergen. Das Ergebnis war ein Gesicht, das zwar jünger aussah, aber auch merkwürdig unnatürlich, als gehörte es jemand anderem. Er hatte dichtes weißes Haar, das durchaus eine Perücke hätte sein können, aber tatsächlich sein eigenes war. Er trug eine halbmondförmige Brille mit Silberfassung und wie gewöhnlich einen Maßanzug, den sein Privatschneider für ihn angefertigt hatte.
Es war sieben Uhr morgens, und die Sonne war noch nicht vollständig aufgegangen. Die Hafenstadt Kaulun schlief noch halb, und die Bars und Elektronikgeschäfte würden noch vergittert bleiben, bis der neue Tag endgültig angebrochen war. Der Himmel war leuchtend rot, was dem Vorsitzenden durchaus passend schien. Denn Kaulun bedeutete »neun Drachen«, und für ihn sah es so aus, als hätten sie alle gleichzeitig Feuer gespuckt.
Hinter ihm sprach einer der Mitarbeiter.
»Sie sind jetzt online, Herr Vorsitzender.«
Der Vorsitzende ging zu seinem Platz an der Stirnseite des Tisches und setzte sich. Er legte eine Hand auf die polierte Oberfläche und konzentrierte sich. An den Wänden waren dreizehn Plasmabildschirme montiert, auf denen nun die Geschäftsführer der Niederlassungen auf der ganzen Welt zu sehen waren. Eine Webcam, die vor ihm auf dem Tisch stand, sandte das Bild des Vorsitzenden in die Welt hinaus. In Los Angeles war es jetzt zwei Uhr nachmittags und in London Mitternacht. Aber das spielte keine Rolle. Dies war die monatliche Konferenz der Bosse von Nightrise, und keiner von ihnen hätte es gewagt, auch nur eine Minute zu spät zu kommen.
»Ich grüße Sie, meine Damen und Herren.« Wie immer eröffnete der Vorsitzende die Konferenz. Er hatte eine unangenehm kehlige Stimme, die sich anhörte, als wäre er krank. Er sprach ohne erkennbaren Akzent. Er war ein internationaler Geschäftsmann und hatte eine internationale Stimme.
»Ich muss Sie wohl nicht daran erinnern, dass dies eine kritische Zeit für uns alle ist«, fuhr er fort. »Es ist eine Zeit, in der die Welt sich verändert. Unsere Bemühungen der letzten Jahre beginnen Früchte zu tragen. Die Geschäfte laufen besser denn je, aber es steht mehr auf dem Spiel als nur Einnahmen und Verluste. Da wäre zum einen das PSI-Projekt. Des Weiteren gibt es Neuigkeiten aus Südamerika. Und dann ist da natürlich noch die bevorstehende Wahl… unsere Chance, die Position des wichtigsten Mannes der Welt zu besetzen.« Er verstummte, und es sah beinahe so aus, als wäre ein dünner Nebel über seinen Augen aufgezogen. »Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, meine Damen und Herren, dass dies eine Zeit ist, in der wir uns keine Fehler erlauben dürfen.«
Er schwieg. Niemand rührte sich. Die Personen auf den Bildschirmen saßen so still, dass es fast aussah, als wäre die Verbindung gestört und versehentlich eingefroren. Dreitausend Kilometer weit entfernt setzte der private Satellit von Nightrise seinen Weg durch den Orbit fort, nahm Signale auf und sendete sie in verschiedene Länder. Es war, als würde er auch etwas von der schwarzen Leere des Weltalls mitschicken. Die Bilder waren tot. Das runde Dutzend Büros auf der ganzen Welt schien kein Leben zu enthalten.
»Lassen Sie uns mit New York anfangen. Die Wahl. Was können Sie berichten?«
Der Geschäftsführer aus New York war ein schwerer, breitschultriger Mann, der zwanzig Jahre in der Armee gedient hatte, bevor er ins Geschäftsleben eingetreten war – und man sah es ihm an. Sein Name war Simms. »Das ist eine harte Nuss, Sir«, berichtete er. »Und es wird eng werden… vermutlich wird die Entscheidung an einem oder zwei Staaten hängen. Unser Mann
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