Schattenmacht
Freeman. Der andere ist ein peruanischer Betteljunge. Wie er heißt, weiß ich noch nicht. Ebenso wenig, wo die beiden jetzt sind – aber ich werde sie finden, dessen bin ich sicher. Sie können unmöglich entkommen.
Eines ist jedoch gewiss. Es müssen fünf sein. Nur zusammen haben sie die Kraft, uns zu schaden. Allein sind sie nichts. Und wenn ich das richtig verstehe, ist die derzeitige Situation folgende: Ich habe zwei von ihnen. Sie haben einen. Der vierte ist hilflos, und der fünfte Torhüter – ein Mädchen – weiß noch nicht einmal etwas über seine wahre Identität und die Rolle, die ihm zugedacht war. Uns kann niemand aufhalten. Am 24. Juni werden sich die Alten nehmen, was ihnen rechtmäßig gehört, und wir alle werden uns die Belohnung teilen.«
Rund um den Konferenztisch begannen die Teilnehmer zu applaudieren. Sie waren Tausende Kilometer voneinander getrennt – in London, Los Angeles, Peking… überall auf der Welt. Es war, als hätte jemand die Lautstärke aufgedreht.
Der vierzehnte Bildschirm wurde wieder schwarz. Salamanda hatte die Übertragung beendet.
»Jetzt wissen Sie, wie es aussieht«, sagte der Vorsitzende. »Zwischen uns und dem Ende der alten Welt liegen nur noch wenige Tage. Das bedeutet jedoch nicht, dass unsere Arbeit getan wäre. Das ist erst der Anfang. Es wird Krieg geben, und es ist unsere Aufgabe, den Weg dafür zu bereiten. Wir brauchen einen Präsidenten, der dieselben Ziele verfolgt. Mr Simms, ich verlasse mich auf Sie. Mrs Mortlake, kümmern Sie sich um das Kind. Sorgen Sie dafür, dass der Junge einer von uns wird. Und finden Sie seinen Bruder.«
Der Vorsitzende gab einem seiner beiden Assistenten ein Zeichen. Dieser legte einen Schalter um, und alle dreizehn Bildschirme wurden schwarz.
In ihrem Büro in Los Angeles sah Susan Mortlake, wie das rote Licht an ihrer Webcam erlosch, und sie wusste, dass ihr Bild nicht länger übertragen wurde. Ihr war auch klar, dass sie froh sein konnte, noch am Leben zu sein. Der Vorsitzende hatte kurz erwogen, ihren Rücktritt zu verlangen. Das hatte sie in seinen Augen gesehen.
Auf jeden Fall hatte er verlangt, dass sie jemanden entließ. Sie beugte sich vor und drückte einen Knopf auf der Gegensprechanlage. »Sie können sie jetzt zu mir schicken«, sagte sie.
Sekunden später öffnete sich die Tür, und Colton Banes und Kyle Hovey kamen herein. Auf der anderen Seite des Schreibtischs standen zwei Stühle mit hohen Lehnen, und die beiden setzten sich, ohne dass sie dazu aufgefordert werden mussten. Durch die Klimaanlage war der Raum eiskalt, doch Hovey hatte Schweißperlen auf der Stirn. Banes sah entspannter aus. Er zuckte nicht einmal zusammen, als Mrs Mortlake ihm ins Gesicht sah. Beide Männer wussten, warum man sie herbestellt hatte. Sie sollten sich rechtfertigen.
»Nun?« Mrs Mortlake stieß nur dieses einzige Wort aus. Sie hörte sich an wie eine Lehrerin, die einen unartigen Schüler bestrafen musste.
»Es war alles seine Schuld!« Hovey reagierte sofort, um seine Version der Ereignisse als Erster erzählen zu können, und warf Banes einen kurzen Blick zu. »Er hätte von dem Hund wissen müssen.« Er hob den Arm und verzog dabei schmerzerfüllt das Gesicht, als müsste er sein Argument dadurch noch unterstreichen. »Und er hätte mehr Männer am Bühnenausgang postieren müssen.«
»Mr Banes?« Mrs Mortlake sah ihn erneut an. Sie trug lange Ohrringe, die bei jeder Kopfbewegung leise klimperten.
Banes zuckte die Schultern. »Es stimmt«, sagte er. »Ich wusste nichts von dem Hund. Die Kinder hatten Glück. Solche Dinge passieren eben manchmal.«
Mrs Mortlake wusste bereits, was sie tun würde. Wer es in einer Organisation wie Nightrise zu einer Führungsposition brachte, musste in der Lage sein, schnelle Entscheidungen zu treffen.
»Mir scheint, dass Sie beide nur zur Hälfte erfolgreich waren«, begann sie. »Was zugleich bedeutet, dass Sie zur Hälfte versagt haben. Ein Junge ist entkommen, aber wenigstens haben wir den anderen. Wären beide entkommen, hätte ich keine Wahl und müsste Sie beide entlassen. Aber so wie es jetzt ist, wird einer von Ihnen seinen Job behalten.« Sie lächelte süß. »Mr Banes, es tut mir leid…«
Im Stuhl neben ihm entspannte sich Mr Hovey sichtlich.
»… aber ich muss Sie bitten, Mr Hovey zu erwürgen. Ich weiß, dass Sie lange zusammengearbeitet haben. Aber unsere Organisation verzeiht keine Fehler, und mir persönlich geht Mr Hovey schon geraume Zeit auf die
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