Schattenmacht
erinnerte. Zitternd drehte er den Kopf und sah, dass eine Frau hereingekommen war und sich auf den Stuhl neben seinem Bett gesetzt hatte. Sie sah auf ihn herab, als wüsste sie nicht, was sie von ihm halten sollte.
Sie hob eine Hand, und Scott sah, dass sie mehrere Ringe trug. Einen Moment lang ruhten zwei ihrer Finger auf seinem Arm. »Was haben sie mit dir gemacht?« Ihre Stimme klang sanft und melodisch. »Du armer Junge«, fuhr sie fort. »Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich schon früher gekommen, aber du musst verstehen, dass es für mich nicht einfach ist. Ich möchte deine Freundin sein. Doch dazu muss ich wissen, dass du mir vertraust. Du musst auf meiner Seite sein.«
Ihre Finger landeten auf seiner Stirn und strichen ihm die Haare aus dem Gesicht.
»Jamie hat dich im Stich gelassen«, fuhr sie fort. »Erinnerst du dich – im Theater? Da haben sie dich gekriegt, und dein Bruder hat dich einfach zurückgelassen. Dein ganzes Leben hast du dich um ihn gekümmert, aber das war ihm egal. Bei der ersten Gelegenheit war er weg und hat dich all dem hier ausgesetzt. Gerade jetzt lacht er über dich. Weil es ihm gut geht. Er hat seinen Spaß. Und du liegst hier auf dem Rücken, angeschlossen an diese schrecklichen Schläuche. Du könntest hier sterben, und niemanden würde es interessieren.
Genau diesen Fehler hast du von Anfang an gemacht, Scott. Erinnerst du dich an Ed und Leanne in Salt Lake City? Du dachtest, Sie würden sich um dich kümmern, aber auch sie haben dich im Stich gelassen. Und dann kamen Don und Marcie, die noch viel schlimmer waren. Aber so ist das Leben, stimmt’s? Es sind immer die guten Menschen, die herumgeschubst werden. Die kleinen Leute. Möchtest du zu den kleinen Leuten gehören, Scott, oder möchtest du zu mir gehören? In der Welt, die kommen wird, werde ich zu den Großen gehören, und du musst dich entscheiden, an welchem Ende der Peitsche du stehen willst.
Ich werde dich jetzt allein lassen, damit du darüber nachdenken kannst, mein Freund. Es gibt da ein paar Leute, für die ich arbeite… obwohl es eigentlich nicht wirklich Leute sind. Sie werden schon bald bei uns sein, und sie würden sich freuen, wenn du dich uns anschließt und ihr Diener wirst. Jamie ist leider zu dumm, diese Entscheidung zu treffen. Vielleicht kannst du es ihm eines Tages heimzahlen. Vielleicht bringen wir dich eines Tages zu dem kleinen Schwein, damit du ihm ein Messer ins Herz jagen kannst.
Aber jetzt muss ich gehen. Denk über das nach, was ich dir gesagt habe. Morgen werden wir wieder miteinander plaudern.« Die Tür öffnete sich ein zweites Mal. Es war noch jemand gekommen. Die Frau stand auf.
»Mr Banes ist gekommen, um dich zu besuchen«, erklärte sie. »Ich wünschte, ich könnte hierbleiben und ihn von dir fernhalten. Aber bevor du nicht für mich bereit bist, kann ich das leider nicht für dich tun. Tut mir wirklich leid, mein Freund. Doch ich komme wieder, das verspreche ich.«
Der Kahlkopf hatte ihren Platz eingenommen. Scott kniff die Augen zu und stöhnte tief in seinem Innern.
Er hörte, wie die Tür leise geschlossen wurde, und er war mit Banes allein.
SILENT CREEK
Jamie hatte schon vor Gericht gestanden, deshalb überraschten ihn weder der winzige Raum mit den wenigen Leuten noch die Geschwindigkeit, mit der alles ablief. Zwei Tische standen vor dem der Richterin – einer Frau mittleren Alters, die in Schwarz gekleidet war und zwischen der Fahne von Nevada und der Staatsflagge auf einem Stuhl mit hoher Lehne saß. An einem der Tische saß Jamie mit seinem Anwalt. Am anderen hatten sein Bewährungshelfer und eine Frau von der Staatsanwaltschaft Platz genommen. Ein Schreiber notierte alles, und der Sicherheitsbeamte stand mit einer gelangweilten Miene herum. Im hinteren Teil des Raums waren zwei Stuhlreihen aufgestellt. Presse und Zuschauer waren bei Verhandlungen vor dem Jugendgericht nicht zugelassen, und Alicia saß dort ganz allein und machte ein besorgtes Gesicht. Sie war als Freundin der Familie gekommen.
Jamies Hände und Füße waren gefesselt. Das hatte ihn schockiert, denn beim letzten Mal war das nicht so gewesen. Aber diesmal war er eines richtigen Verbrechens angeklagt. Er war angeblich verhaftet worden, weil er in der Schule Drogen verkauft hatte, und dafür würde er garantiert in den Bau wandern. Der Bewährungshelfer und sein Anwalt waren eingeweiht – sie kannten John Trelawny, der das Ganze eingefädelt hatte. Sie hatten Jamie sogar einen falschen
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