Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
aber erst nach einem Treffen. Natürlich nicht mit denselben Daten wie jene, die Jerome besaß. Jerome hatte die Ur-Datei, Namen und Kontaktdaten, die außer ihm nur noch das Komitee in den Händen hielt.
Zu Sergej Sokolow fand er sieben verschiedene Einträge. Zwei Nummern in seinem ehemaligen Institut. Dort würde er ihn nicht mehr erreichen. Zwei Nummern bei sich zu Hause, die mit Sicherheit abgehört werden würden, und eine mit Hand gekritzelte, von der Jerome vermutete, dass sie zu Sokolows Datscha gehörte. Eine Art Ferienhaus mitten im Wald, ein vorsintflutlicher Anschluss mit einem Telefon mit Wählscheibe. Eine weitere Nummer gehörte zu einem Mobiltelefon und die siebte war durchgestrichen. Handy oder Datscha? Jerome überlegte. Er hatte nur einen Versuch. Das falsche Telefon angewählt, würde eine Kette hektischer Aktivitäten auslösen. Er erinnerte sich daran, dass er aus den heimlichen Aufzeichnungen des letzten Treffens herausgehört hatte, dass er in der Datscha am ehesten zu erreichen war. Nicht dass er dort tatsächlich dauerhaft lebte, sondern dass die Nummer der Datscha eine Rufumleitung zu einem sicheren Telefon darstellen würde. Die Datscha galt als Synonym für Sicherheit.
Es läutete dreimal, viermal, fünfmal, dann nahm jemand ab. Diese Nummer wurde selten gewählt.
»Chaló«, erklang es kratzend. Jerome schmunzelte immer, wenn er hörte, wie Russen das ›H‹ aussprachen. Hinzu kam, dass Sokolow nur noch eine verunstaltete Zunge besaß, mit der er die Worte mehr schlecht als recht formulieren konnte.
Jerome sprach ihn auf deutsch an, weil er wusste, dass er diese Sprache, wie noch einige andere mehr, gut beherrschte.
»Hallo. Hier ist Claude Renier. Sie werden sich nicht mehr an mich erinnern, dafür kenne ich Sie sehr gut.«
»Was wollen Sie? Woher haben Sie diese Nummer?«
»Sie haben sie mir beim letzten Treffen der Bilderberger in Hamburg gegeben. Wissen Sie nicht mehr? Kurz nachdem Sie Ihren Vortrag abbrechen mussten und abgeführt wurden … Ich habe Ihnen Hilfe angeboten. Ich war Monsieur Dutroit, der Koch.«
Eine kurze Spanne der Stille dominierte das Gespräch. Sokolow schien sich zu erinnern, wer Freund und wer Feind war.
»Ja und? Was wollen Sie jetzt von mir?« Die Stimme klang frostig, wenig entgegenkommend.
»Wir brauchen Ihre Hilfe. Sie haben Ihre Unterlagen Verteidigungsminister Lohmeyer zukommen lassen. Nun ist er tot, wie Sie wissen.«
»Ja, ich weiß. Na und?«
»Die Witwe hat – nun, wie soll ich sagen – inoffiziell einen Kriminalbeamten damit beauftragt, den Mörder von Lohmeyer aufzuspüren.«
Sokolow lachte. »Das ist lächerlich. Was kann der schon ausrichten?«
»Mehr als Sie denken. Er hat einen Feind, den wir alle gemeinsam hassen.«
»Sie meinen …?«
»Genau den. Wir sollten uns treffen. Ich habe für morgen einen Flug nach Prag gebucht.«
»Und warum sollte ich das tun? Warum sollte ich mich für Sie in Gefahr bringen?«
Jetzt kam der Moment, auf den Jerome gewartet hatte.
»Weil Sie mir Ihr Leben zu verdanken haben. Ich war derjenige, der Ihnen Hilfe aus dem Institut gerufen hat.«
»Das weiß mittlerweile jeder, dass ich Hilfe von außen bekommen hatte. Sagen Sie mir, wer genau gekommen ist. Diesen Namen kennt nur derjenige, der tatsächlich Hilfe geholt hat.«
Jerome holte tief Luft.
»Vitali Sokolow, Ihr Sohn aus erster Ehe.«
Wieder herrschte Stille am anderen Ende.
»Gut, ich lasse Sie abholen. Sie werden dann noch eine Stunde fahren. Wir treffen uns weit draußen, wo uns niemand stören kann. Wie erkenne ich Sie?«
Jerome überlegte. »Halten Sie Ausschau nach Tom Cruise und Dustin Hoffmann. So in etwa. Beide tragen dunkle Anzüge und haben Aktenkoffer dabei.«
Sokolow lachte kehlig. »Cruise und Hoffmann. Na schön. Ich werde es meinem Fahrer ausrichten. Ich muss Ihnen nicht sagen, dass ich Sie filzen lassen werde, wenn Sie ankommen.«
»Schon klar, wir werden sauber sein wie zwei Säuglinge vor dem Chipen.«
»Trotzdem werden wir uns davon überzeugen, wenn Sie verstehen.«
»Natürlich. Dann bis morgen.«
Jerome legte das Telefon auf den Tisch. Er war zufrieden. Der Plan ging auf. Folgsam pickte man die Krumen auf, die er vor langer Zeit ausgestreut hatte.
Kapitel 34
Juni 2011, Hamburg
Martin wälzte sich auf seinem Lager hin und her und erwachte in dem Moment, als er mit dem Kopf an den Holzrahmen des Sofas stieß. Er fluchte und rieb sich die Stelle am Haaransatz. Das Licht in dem Raum war diffus und
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