Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
sich in Jeromes Schlafbereich umgesehen hatte, waren ihm derartige Gegenstände nicht aufgefallen. Nach einer Weile kam Jerome mit einem Tablett aus seinem ›Privatbereich‹, wie er es nannte, und stellte es auf den großen Tisch, auf dem neben den zahlreichen anderen Geräten nicht mehr viel Platz war.
»Können wir das nicht in deinem Bad machen? Du brauchst doch bestimmt Wasser?«
»Ach was, das geht schon. Wir bleiben hier.« Jerome nahm die ausgedruckte Fotografie von Martin und befestigte sie mit einem Tesafilm-Streifen an einem der Monitore. Aus der linken Gesäßtasche zog er einen Personalausweis hervor und überreichte ihn Martin.
»Hallo, Norbert!«, rief er übermütig und grinste ihn an.
Martin betrachtete das Foto des jüngeren Mannes, hielt es zehn bis zwanzig Zentimeter weiter von sich weg und sagte: »Der sieht mir ja kein bisschen ähnlich.«
»Noch nicht und – nicht auf den ersten Blick, aber die wesentlichen Merkmale stimmen überein. Kopfgröße, Augenfarbe, Ohrenposition, Haaransatz – diese Dinge eben. Den Rest krieg ich locker hin.« Jerome begann, Pulver in ein Gefäß zu schütten und eine spezielle Flüssigkeit dazuzugeben. Er rührte die Masse mit gleichmäßigen Bewegungen an und Martin erkannte eine gewisse Routine in seiner Tätigkeit.
»Was wird das, wenn es fertig ist?«
»Na, wonach sieht’s denn aus? Einen Kuchen backe ich dir wohl eher nicht. Das ist spezielles Silikon für deine Maske.«
Martin betrachtete den Brei mit Skepsis. »Schminken allein reicht wohl nicht, was?«
»Das machen wir hinterher. Du wirst dich wundern, wie du aussiehst, wenn ich mit dir fertig bin.« Jerome benutzte eine seltsame Wortwahl und Martin schluckte unwillkürlich.
»Das muss jetzt fünfzehn Minuten ziehen und dann können wir loslegen. Erst müssen sowieso die Matte und der Bart ab. Los, setz dich mal hierhin.« Jerome lotste Martin auf einen Stuhl mit gerader Lehne und band ihm eine Art Laken oder Tischtuch um. Jerome begann seine Arbeit. Lange Haare segelten zu Boden, bedeckten ihn zur linken und rechten Seite. Jerome grinste über das ganze Gesicht, als er hinter Martin stand. Mit flinken Fingern hantierte er an Martins Kopf herum und mit der Zeit schuf er einen recht ansehnlichen Kurzhaarschnitt, der wahrscheinlich von Meisterhänden noch mit Korrekturen versehen worden wäre, doch alles in allem bekam allein dadurch Martins Gesicht eine neue, sehr ansprechende und prägnante Optik.
Jerome reichte Martin den Rasierapparat. »Hier, den Bart nimmst du selber ab.« Jerome hielt ihm einen Spiegel vor das Gesicht, sodass Martin den Haarschnitt sehen konnte. Er wollte aufschreien, protestieren, laut meutern, doch nichts dergleichen entwich seinem Mund, denn es gefiel ihm. Viele Jahre hatte er keine Schere an sich herangelassen, hielt es für cool und ihm gemäß, doch nun, da die Haare den Boden und nicht den Kopf bedeckten, musste er sich eingestehen, dass diese erste Verwandlung erfolgreich und als längst überfällig zu betrachten war. Er nahm den Rasierapparat zur Hand, schob den Langhaarschneider hoch und rasierte, ohne zu zögern, den aristokratischen und an den Enden gekräuselten Schnurrbart ab.
»Die Haut muss für den Abdruck und das Silikon ganz glatt sein.«
Martin sah Jeromes funkelnden Blick im Spiegel. Las er Schadenfreude in diesen Augen oder war es etwas anderes, etwas Düsteres? Er rasierte die Gesichtshaut so glatt, dass sie sich wie die Innenhaut am Unterarm anfühlte. Ein wahrlich neues und anregendes Gefühl. Ein wenig nackt kam er sich vor, ungeschützt.
Jerome betrachtete das Ergebnis mit Genugtuung. »Ja, damit lässt sich arbeiten. Nun lehn dich zurück und entspann dich.«
Martin legte den Kopf in den Nacken und stützte ihn auf der Stuhllehne ab. Er schloss die Augen.
Jerome trat hinter ihn und rieb sein Gesicht mit einer speziellen, fetthaltigen Creme ein. Er begutachtete die angerührte weißlich gelbe Masse und schien zufrieden. Er nahm einen dicken Halm zur Hand und gab ihn Martin.
»Hier. Dadurch musst du gleich atmen, wie beim Tauchen.«
Martin steckte sich den Halm zwischen die Zähne und testete die Mundatmung. Sie funktionierte gut.
Jerome griff in den Topf und nahm den größten Teil der knetbaren Masse heraus. Er rieb sie zwischen den Händen wie einen Pizzateig und rollte sie so platt, dass sie nur noch eine dünne Schichtstärke aufwies. Er breitete die Masse über Martins Gesicht aus. Martin zog die Luft durch den Halm.
»Ich
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