Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
der Tür, begann sich die Kamera zu bewegen. Wie ein Katzenauge schnurrte sie langsam den Flur ab und suchte ungebetene Gäste. Das Lämpchen blinkte, doch Martin rührte sich nicht vom Fleck.
Auch die Stimmen hinter der Tür versiegten nicht, sie schienen eher noch lauter zu werden. Nun hörte er es deutlich. Zwei Menschen stritten sich. Die Worte kamen unklar zu ihm, gefiltert durch Wände und Türen, hastig ausgespuckt, im Eifer dem Gegenüber entgegengeworfen und leider nicht zu verstehen. Martin erfasste Fetzen wie ›Risiko‹ und ›Dummheit‹ sowie das Wort ›abgeschlachtet‹. ›Abgeschlachtet‹ war laut und deutlich, weil langsam gesprochen, zu hören. Martin erschrak. Mit wem sprach Jerome dort hinter der Tür? Wer hatte ihn besucht? Martin hatte nichts gehört, keine Schritte am Boden, keine heruntergedrückten Klinken, keine quietschenden Türen. Vielleicht wohnte dort oben noch jemand außer seiner Katze, den Martin nicht kannte, den er nie zu Gesicht bekommen hatte. Jemand, den Jerome versteckte? Das Gebäude war immerhin groß genug dafür. Vielleicht telefonierte Jerome auch, mit Sokolow, vermutete Martin, und er hatte das Handy auf Laut gestellt. Eindeutig waren zwei Stimmen zu hören und Martin identifizierte die eine klar als von Jerome stammend.
Er überlegte, was zu tun sei. Jetzt zu klopfen, könnte Verheerendes bewirken. In einem Zustand des Zorns wollte er nicht hineinplatzen, nach seiner Waffe fragen, sie aufnehmen und vielleicht gegen Jerome und einen anderen richten. Er entschied sich für den Weg der De-Eskalation und begann seinen Rückzug anzutreten. Ohne die Kamera zu reizen, schlich er Schritt für Schritt schlurfend zurück, passierte den Flur in Höhe der Etagentür und eilte die Stufen hinunter. Er erkannte sie jetzt gut, seine Augen waren mit der Dunkelheit vertraut. Er gelangte in seinen Flur und ging, ohne zu zögern, in den Toilettentrakt. Trotz aller Überlegungen, die ihm durch den Kopf schossen, musste er sich erleichtern. Menschliche Bedürfnisse traten nicht hinter gedanklichen Erwägungen zurück und ein leises Stöhnen entwich ihm, als der Urinstrahl das Mondlicht, das durch eines der Fenster kroch, reflektierte.
Nachdem er dieses Problem gelöst hatte, ging er in seine ›Zelle‹ zurück, legte sich auf das Sofa und empfand es zu seinem Erstaunen als nicht unbequem. Noch während sich alle Befürchtungen einen Weg durch sein Gehirn bahnen konnten, schlossen sich die Lider und er schlief ein. Angreifbar für jedermann, ohne Waffe in einem nicht umgeschnallten Halfter, schlief er einfach ein und würde für jeden, der nach seinem Leben trachtete – und derer gab es inzwischen viele – ein leichtes Opfer sein.
*
Jerome hatte die Tür hinter sich verriegelt. Er setzte sich an den Tisch und legte seine Finger auf die Tastatur. Mit wenigen Befehlen steuerte er die Überwachungsanlage und wählte die Räume aus, die er im Auge behalten wollte. Zum einen natürlich die Kamera, die den gesamten Eingangsbereich abdeckte. Niemand würde hinein oder, was an diesem heutigen Abend noch interessanter war, hinausgehen können, ohne dass er es mitbekam. Alle Flure, in denen die großen Kameras hingen, und einige Räume, in denen die kleinen, nicht sichtbaren hingen. Sie hatten keine LED- Lämpchen und gaben auch sonst keine verräterischen Signale von sich. Sie waren so winzig, dass selbst er Mühe hatte, sie zu finden. Er vergaß manchmal, wo er sie versteckt hatte, so viele waren es mittlerweile.
Nicht oft bekam er so hohen Besuch und sein ihm innewohnender Voyeurismus schien zufrieden zu sein. Jerome betrachtete Martin auf dem Bildschirm. Er ging im Raum auf und ab, schien zu überlegen, ob er bleiben oder fliehen solle. Er ging zum Fenster, rüttelte an den Griffen und ärgerte sich, dass sie keine Luft hereinließen.
Eine Weile lang beobachtete er ihn, doch schnell wurde es ihm langweilig. Er stand auf, ging nach nebenan und drückte knisternd einige Pillen aus der Verpackung. Der Raum, in dem er sich nun befand, war eine Art improvisierter Waschraum mit drei Keramikbecken und einem Spiegel vor einem der Becken. Eine Toilette sowie eine alte Dusche mit verrosteten Hähnen in der Ecke des Raumes gab es auch. Ein kleiner, abgetrennter Gang, eher ein Verschlag, führte in die Dunkelheit. Eine Stimme hallte aus der finsteren Stille heraus.
»Das hast du fabelhaft gemacht, mein Lieber.«
Jerome erschrak und hob den Kopf. Dann freute er sich.
»Ja? Findest
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