Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
eines Verräters, wie man ihm gesagt hatte. Eines subversiven Elementes, der staatsfeindliche Dokumente auf dem Computer besaß und kurz davor war, sie an südamerikanische Regierungen zu verkaufen.
Eine Beobachtung, bei der man sich mies fühlte.
Wieder verkauften sich Gerüchte schneller und geifernder als die Wahrheit. So war es schon immer. Die Wahrheit war langweilig und mit ihr waren schlechte Geschäfte zu machen. Das wusste auch Martin, als er selbstbewusst dem Beamten ins Wageninnere über die Schulter blickte. Nicht Martin Pohlmann kam nach Hause, sondern Norbert Wagner. Martin spürte die Maske kaum noch und würde er unkonzentriert durch die Gegend schlendern, könnten ihm leichthin Fehler unterlaufen, unbedachte, die ihn verraten könnten. Äußerlich merkte man ihm keinerlei Gemütsregungen an, innerlich war er nervös, angespannt, jedoch nicht ängstlich. Er achtete darauf, anders zu laufen, als Martin es früher getan hatte. Er ging ein wenig gebeugt, um sich kleiner zu machen. Manchmal versuchte er ein angedeutetes Hinken. Alles war hilfreich, um dem Betrachter nichts an die Hand zu geben, was ihn mit Martin Pohlmann in Zusammenhang brachte. Niemand, der ihn traf und von früher kannte – alte Nachbarn, der Bäcker von nebenan, die Lotte aus der Kneipe gegenüber – grüßte ihn wie einen Bekannten, sondern nur wie den Neuen aus der vierten Etage. Wenn er zurückgrüßte, dann nur leise und verstellt, mit gesenktem Kopf wegen der Augen. Manchmal testete er Dialekte aus dem Osten oder dem Pott im Westen. ›Dat‹ und ›wat‹ und ›Hömma‹, ›hasse ma‹ und ›kannse ma‹ und dergleichen. Trotz der ernsten Situation, in der er sich befand, begann sich eine schelmische Freude in ihm auszubreiten. Sich erinnernd an Filme aus der Jugend wie Spiderman, schlich er durch Hamburg, jemand, den man zum Staatsfeind erklärt hatte, foppte die Bewacher und Spitzel mit nur einer einfachen Silikonmaske, einem jugendlichen Haarschnitt und der simplen Abwesenheit seines aristokratischen Schnurrbarts, von dem jeder überzeugt war, dass er sich niemals davon trennen würde, für kein Geld der Welt und für keinen Menschen auf Erden. Dabei war es so leicht gewesen. Matte und Bart ab, weil es ein anderer von ihm gefordert hatte, plausible Argumente, eine Notsituation zwar und doch war es ihm überraschend leichtgefallen. So leicht, dass er ernsthaft an seiner Liebe zu Catherine zweifeln müsste, die ihm genau dies mehrfach mit säuselnder Stimme angetragen hatte.
Schon eigenartig, welchen erschreckend effektiven Einfluss dieser Jerome auf ihn hatte.
Frau Carstens war ihm gottlob heute nicht über den Weg gelaufen. Sie redete gern und immer zu viel, vor allem, sie fragte ihn Dinge wie am Abend zuvor, auf die er keine Antwort geben wollte. Wie es denn Herrn Pohlmann gehe, ob sie sich mal treffen würden, weil sie noch zwei geliehene Bücher von ihm hätte? Diese Aussage war natürlich eine Finte. Martin hatte ihr nie Bücher geliehen. Und außerdem, sagte sie, um in ihrer Neugier schnell und brennend zum Kern ihres Anliegens zu kommen, man würde ja Schreckliches über Pohlmann in den Nachrichten sehen. Kaum, zu glauben, was alles in einem Menschen stecke, hatte sie gesagt, wie man sich doch täuschen könne … So viele Jahre unter einem Dach und dann das … Offenbar glaubte Frau Carstens jedes Wort, was dort gesprochen und jedes Detail, was gezeigt wurde. Warum auch nicht, es war ja schließlich die Tagesschau. Hatte man schon jemals an dem gezweifelt, was dort verlautete? Sie nicht. Gern hätte Martin Frau Carstens’ Bedenken zerstreut, doch wie sollte er das anstellen, ohne aufzufliegen? Nach einer Weile hätte sie ihn erkannt.
Also schüttelte Norbert Wagner nur den Kopf oder er nickte oder brummte Unverständliches und wirkte dabei unverdient boshaft und hässlich auf die alte Dame. Und immer dachte er an seine Augen. Die Augen, die Augen, sie kennt deine Augen. Sieh sie nicht an! Wenn sich diese Phase der Maskerade tatsächlich länger hinziehen sollte, würde er über farblich andere, etwa blaue Kontaktlinsen nachdenken müssen.
Das Leben war anstrengend geworden. Zu schauspielern fiel ihm nicht leicht. Eine Begabung, die ihm nicht mit den Genen einverleibt wurde. Einen anderen darzustellen, glich einer gespielten Lüge. Jedes Wort, das er sprach, war wohlüberlegt, und je nachdem, wem es galt, frech gelogen. Doch es half nichts. Welche Wahl hatte er schon? Ja, er hatte ernsthaft in Erwägung
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